CLOUDBUSTER

Theaterkritik über das Leben und Werk Wilhelm Reichs in Köln

von Joachim Trettin

Theater am Sachsenring, Köln

Aufführung April - Juni 1997

Komödie von Tony Dunham über das Leben des Wilhelm Reich

Übersetzung : Betty Hensel

mit Marietta Bürger, Thomas Franke und Christoph Schmidtke

Inszenierung: Joe Knipp


Es war das Theater selbst, daß unserem Institut ihr Programmheft in mehrfacher Anzahl über ihr Theaterstück "Cloudbuster" zukommen ließ. Der Infotext las sich sehr manierlich, zeigte zumindest biographisches Wissen auf und machte mich einigermaßen gespannt, was man da über Reich auf die Bühne bringen würde. Die Einladung eines Freundes der ebenfalls nichts an dem Stück zu beanstanden hatte, drängte mich geradezu mir dieses Stück anzusehen. Geschrieben wurde das Stück "Cloudbuster" von Tony Dunham, einem britischen Wahlkölner. Das Stück war eine Auftragsarbeit des Theaterleiters Joe Knipp, der es auch inszenierte. Im Kölner Express vom 2. April`97 äußerte er sich über Wilhelm Reich, unter der Überschrift: Zum Jubiläum gibt es einen Orgasmus (gemeint ist hier das zehnjährige Bestehen des Theaters). "Seine Ideen sind verrückt, aber interessant. Wir zeigen sein Leben mit allen Höhen und Tiefen."

Das Theater am Sachsenring ist eine kleine Bühne. Das Ensemble das Reichs Leben und Werk zeigen wollte, bestand aus 3 Personen, die die verschiedenen Persönlichkeiten, die in Reichs Leben eine Rolle spielten, verkörperten. Einziges Requisit neben falschen Bärten und Perücken war eine Orgonakkumulatoratrappe, bei der man sich noch nicht einmal die Mühe machte, sie mit Metallfarbe von innen anzustreichen, um so dem Publikum zumindest eine realistische Optik zu bieten. So wurde dem Publikum eine einfache Holzkiste mit Schaniertür und Fenster offeriert.

Diese scheinbare puristisch- künstlerische Freiheit wurde sofort in der Anfangsszene durch ein weiteres Klischee ergänzt. Zwei fickende Personen an den Orgonakkumulator gelehnt, während eine 3. Person in ihm sitzt. Das was als ein typisches Klischee über Reich und den Orgonakkumulator anscheinend persifliert wurde, erwies sich jedoch in schockierender Weise als ernst gemeinte künstlerische Aussage, die keine Auflösung fand. Nach Minuten des Schocks sah ich mich in eine Alptraumwelt versetzt. Das Theater verwandelte sich in eine Orgonhölle, in die ich auf einmal auf unerklärliche Weise reingeraten war. Den Aufenthalt dort konnte ich nur bis zum Ende der Aufführung ertragen, weil ich sehen wollte mit welchen Unwahrheiten die Öffentlichkeit unter dem Deckmantel der Kunst über einen, wenn nicht den bedeutendsten Wissenschaftler des 2o. Jahrhunderts, informiert wird. Meiner Begleiterin ging es genauso. Und das alles auch noch für den Preis von 27,- DM.

Bereits nach 5 Minuten wurde ich von dem Wunsch hin und her gerissen das Theater umgehend zu verlassen oder durch lautstarken Protest diesen Gemeinheiten, die sich vor meinem Auge und Ohr auftaten, entgegenzutreten. Jedoch versprach ich mir, völlig unvorbereitet in diese Situation geraten, von beiden Alternativen nicht sehr viel und beschloß statt dessen eine Kritik über diese Geschmacklosigkeit ins Internet zu setzen.

Direkt zu Beginn entspann sich ein Szenerie, die Reich als sexbesessenen Egomanen hinstellte. In manischer Form wird zu Beginn aus "Leidenschaft der Jugend"  Reichs Beobachtungen der Sexualität der Tiere auf dem elterlichen Gut geschildert, gefolgt von Reichs geilen Beobachtungen der Liebschaft seiner Mutter mit dem Hauslehrer, in "künstlerischem" Monolog in die Länge gestreckt.

Reich seit seiner Kindheit sexualfixiert, fängt an, über Leichen zu gehen. Eine von Reich geschwängerte Freundin stirbt Anfang der zwanziger Jahre in Wien an einer Abtreibung, dessen angebliche Tatumstände und deren Verschleierung durch Reich zum Besten gegeben wird. Auch hier wieder ein quälender in die Länge gezogener Dialog, der Reichs Unehrlichkeit unterstreichen soll.

Reich soll ja Annie Pink heiraten, von der er sich später wieder trennt, "weil sie zu krank gewesen sei". Dieser Ausspruch Reichs ist das einzige, was der Autor zu dieser Beziehung bemerkenswert findet. Wir sehen hier Reich als Sexualwolf, der sterben läßt, was ihm lästig ist,- den Arzt Reich, der das als krank abschiebt, was seiner Sexualgier im Weg steht,- der Liebhaber Reich, der später eine weitere Gefährtin, Elsa Lindenberg sitzen läßt, nur weil sie kein Visum für Amerika hat, um anschließend Ilse Ollendorf zu umwerben, weil Weihnachten so einsam ist. (Reich verließ Norwegen im Sommer 1939). Dies alles ist nichts weiter als ein Almagam von Lüsternheit und historischer Verfälschung, eine üble Manipulation von Originalaussagen und Erfindungen.

Elsa Lindenberg hatte kein Visum, weil sie sich bereits von Reich vor dessen Abreise aus Norwegen getrennt hatte und auch auf die Schwierigkeiten die Reich mit Annie Pink hatte, wurde zu Gunsten einer glatten Fortführung der sexuellen Soßenkomödie verzichtet.

Das ganze Stück offenbart die Brutalität pornographischer Sexualität, das der Arzt Reich selbst lebenslang aufs Schärfste bekämpft hat. Mit diesem Stück versuchte man erneut ihn selbst mit diesem Inhalt zu identifizieren und ihn in dessen Mittelpunkt zu stellen. Selbst die Pornographie, die einem hier als angebliche Komödie getarnt vorgesetzt wird, ist äußerst billig, unsexuell und voller primitiver Anspielungen und Zoten.

Kostprobe: Als Reich Freud seine Arbeit über die Funktion des Orgasmus überreicht, sagt Freud: So dick !!! (Lacher im Publikum). Im weiteren Verlauf wird dem Publikum nahe gelegt, daß Reich mit Vorliebe seinen Büchern immer denselben Titel gab: nämlich die Funktion des Orgasmus. Höhepunkt des Stücks jedoch sind Reichs wissenschaftliche Versuche über die elektrische Natur von Lust und Angst. Der angeblichen Lächerlichkeit dieser Arbeit wird hier besondere Aufmerksamkeit geschenkt und das Publikum honoriert das Anbringen der Elektroden und ihre pornographischen Kommentare mit minutenlangem Gelächter

Der Mann der die Lebensenergie entdeckte - Höhen und Tiefen eines lächerlichen sexualfixierten Narren!

Da ist man erinnert an den selbsternannten Biographen Reichs, Myron Sharaf, der auch mehr an Reichs Deformierungen interessiert war, als an dessen wissenschaftlichen Arbeiten. Die Frucht seiner Arbeit scheint hier Pate gestanden zu haben um das fortzuführen, womit Ilse Ollendorf, die ebenfalls wissenschaftlich desinteressiert war, Mitte der 7oer Jahre begann.

Ab der Zeitepoche der 40ger Jahre, die mehr im Interesse der Orgonenergieforschung stand, statt einer vordergründigen Sexualität, flaut das Stück merklich ab und hat bis zu seinem rasch nahenden Ende nicht mehr viel zu sagen.

Bei aller Gutmütigkeit muß man sich da wirklich fragen, was selbst anscheinend so unbedarfte Regisseure wie Joe Knipp dazu veranlaßt, den Menschen Reich, der sein Leben der Freiheit und Liebe der Menschen opferte, so in den Schmutz zu ziehen und dies auch noch als Kunst ausgeben zu wollen. Substantielles erfahren wir hier überhaupt nicht. Zugegeben Reich ist kein einfacher Stoff und eher geeignet für eine Tragödie Für eine Komödie müßte das Skript schon äußerst anspruchsvoll sein, was diesem Stück ja nun absolut abgeht.

So ein Stück würde besser in diverse Varietés der Londoner- oder New Yorker Slums der Jahrhundertwende passen, als in ein Theater mit Renommeeanspruch.

Theater müßte im Bereich der Gesellschaftswissenschaften auch eine gesellschaftliche Funktion erfüllen. Die Inhalte eines Gesellschaftskritikers müßten auch in einer Komödie erhalten bleiben - ansonsten entartet das Theater zur Kunst der Verfremdung und Trivialisierung.

Sollte das letztere Joe Knipps Anliegen gewesen sein, so ist ihm das vortrefflich gelungen und mein Kommentar dazu ist - schlechter kann mans wirklich nicht mehr machen.

Joe Knipps Aussage im Kölner Express, er hätte voll auf Risiko gesetzt, findet hier eine wahre Begründung. Sein Stück wäre bestimmt baden gegangen, hätte er es nicht für den "kleinen Mann" geschrieben, der am liebsten darüber lacht, wovor er sich am meisten fürchtet.

Lieber Joe Knipp, wenn Sie wirklich mal auf Risiko gehen wollen, sollten Sie das Stück "Hör zu kleiner Mann" von Wilhelm Reich inszenieren. Dafür bräuchten Sie keine Auftragsarbeit - nur etwas Mut, den Sie hier jedenfalls nicht gezeigt haben.

Zu Beginn des Stückes hatte es für mich den Anschein, als wäre das Skript Ende der Fünfziger oder Anfang der sechziger Jahre irgendwo an der Ostküste verfaßt worden. Es hätte in diese Zeit gepaßt.

Tony Dunham jedoch in seiner Inkompetenz (der Begriff künstlerische Freiheit oder Kreativität wäre hier wohl fehl am Platze), der das Stück anscheinend in neuerer Zeit kreierte, vergaß zu vermerken, daß das was er beschreibt nichts mit Reichs Person zu tun hat, sondern das schauspielerisch umsetzt, was Reich als den neurotischen, pornographisch -sadistischen, sexualverkrüppelten Menschen bezeichnet. Mr. Dunham - mit dieser Arbeit haben Sie sich wirklich kein Denkmal gesetzt. Keiner hat soviel Offenherzigkeit über Intimitäten von Ihnen verlangt. Über wessen Intimitäten wird hier eigentlich berichtet ?

Aber hier soll auch noch ein Wort an die Darsteller Marietta Bürger, Thomas Franke und Christoph Schmidtke gerichtet werden. Mich würde es mal interessieren, wie ihr euch eigentlich fühlt so einen bedeutungsvollen Wissenschaftler vor lachendem Publikum über eine Periode von mehreren Monaten durch den Kakao zu ziehen. Wißt ihr überhaupt wer Wilhelm Reich war? Habt ihr mal was von ihm gelesen? Wißt ihr eigentlich, warum dieser Mensch im Gefängnis sterben mußte?

Wenn nicht - dann solltet ihr das mal nachholen und dann schaut mal nach innen was ihr fühlt, wenn ihr diesen Mann Aufführung für Aufführung lächerlich macht. Vielleicht kommt da doch noch ein Lebensfunken von Gefühl in euren Künstlerseelen auf und vielleicht stellt ihr euch dann auch mal die Frage, welche Funktion die Kunst eigentlich in einer Gesellschaft hat, oder haben sollte. Vielleicht wäre es auch eine gute Idee euch mal mit den Arbeiten des "Living Theathers" zu beschäftigen.

Und an die Damen und Herren der Presse, die dieses Stück gelobt haben und deren Kritiken am Theater aushängen: Vielleicht sollten auch Sie besser überlegen, was und worüber Sie eigentlich schreiben. Gerade von Kulturkritikern sollte man doch erwarten können, daß ihnen der Begriff Niveau noch etwas sagt.

Alles in allem: Trotz netter Bühne, netten aber unbewußten Darstellern ein schlechtes Stück mit billiger Pornographie, die man bestimmt in jedem Pornofilm in Kinos kostengünstiger und ehrlicher serviert bekommt.


Joachim Trettin & Beate Freihold copyright

Wilhelm Reich und die Orgonomie

eine Wissenschaftsbiographie von Joachim Trettin

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