Orgonomie in Berlin

während der Maueröffnung 9. November 1989

Beate Freihold vom Orgoninstitut Berlin an der East Side Gallery der Mauer in Berlin Ost

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John Joachim Trettin am Teil der Mauer an der Oberbaumbrücke

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Orgonomie 1989 in Berlin

Die Mauer war ein prägender Teil unserer damaligen Berlinzeit. Beate Freihold wohnte in Berlin Kreuzberg direkt an der Mauer und ich wohnte nicht weit weg von der Bernauerstr. im Wedding. Um von Kreuzberg in den Wedding, oder umgekehrt vom Wedding nach Kreuzberg zu kommen, konnte man nicht den direkten Weg durch den Osten nehmen. Wir mußten buchstäblich immer um die Mauer herumfahren, vorbei am Tempodrom und der alten Ruine des Esplanade Hotels, wo auch für den Film Der Himmel über Berlin von Wim Wenders mit Nick Cave gedreht wurde. Nach der Maueröffnung wurde auf dem leeren Potsdamer Platz The Wall mit Roger Waters aufgeführt. Auch dort wurde eine riesige Mauer aus Styropor aufgebaut. Für uns symbolisiert die Mauer die Panzerung des Menschen zwischen innen und außen. Aus diesem Grunde ist The Wall von Pink Floyd genial und natürlich absolut passend, entsprechend der Berliner Mauer in Berlin. Dieses Spektakel war wirklich eindrucksvoll und jeder, der an der ehemaligen Mauer vorbeifuhr bekam den aufwendigen Aufbau mit. Auch heute kann man sich das noch auf DVD anschauen.

Der gerade neu entstandene Fernsehsender Rias zeigte den Abbruch der Mauer, den man nächtelang im Fernsehen verfolgen konnte.

Auch ich hielt mich nicht am 9.11.1989 während des Mauerfalls in Berlin auf. Niemand, aber auch niemand konnte vorher ahnen, was sich am Abend des 9.11. in Berlin tat.

1989 war ein bewegtes Jahr für uns. Ein Jahr zuvor hatte der grosse Reich- Kongress in Berlin stattgefunden, zu dem viele Orgonomen aus USA nach Berlin kamen. Wir bereiteten damals unsere Amerikareise vor um noch lebende Mitarbeiter Wilhelm Reichs zu interviewen. Im Sommer 89 gab es das Karma Nagzög in Dänemark und im Winter fuhr ich im Zuge von Seminaren durch Deutschland, Österreich und Italien. Als mich die Nachricht vom Fall der Mauer erreichte war ich gerade in Italien in einem kleinen Bergdorf.

Die Jahre 88-92 waren Jahre vor allem der Dokumentation auf Video. Das betraf alles, was nur irgendwie interessant und wissenschaftlich war. Neben meinen intellektuellen und sozialpolitischen Interessen lag meine Begabung auf Tönen und Bildern, also Musik, Foto und Film. Jetzt war es vor allem die filmische Darstellung der Orgonomie. Dazu gehörten Referate wie auch wissenschaftliche mikroskopische Filme. Zum ersten mal in der Geschichte konnte man dass lebendig sehen, was es in Reichs Büchern nur als schwarz- weiss Fotos gab. Wir dokumentierten Forschungen zur Bione und zur Blutdiagnostik, die Bildung von Protozoen aus Bionen und der Krebsdiagnostik eines Berliner Arztes, ein vielversprechender Ansatz, der weiter gedacht zu einer Reichianischen Ambulanz führen sollte. Leider geschah das später nicht. Auch gab es seit 1979 Einführungsseminare zu Wilhelm Reich und der Orgonomie an einer Berliner Fachhochschule und ich verwendete viel Arbeit all die praktischen Schritte zur Ausbreitung der Orgonomie in Berlin filmisch festzuhalten.

Dazu gehörte auch Eva Reich, die in Berlin mit meiner filmischen Begleitung 4 Workshops und einen Kaiserschnittworkshop gab. Sie hielt einen Vortrag zu "Ganzheitlicher Lebensführung", ", zu der für sie auch der Orgonakkumulator gehörte "Natürliche Geburt und Selbstregulierung", einen Vortrag zur Geburt, "Meine Erinnerungen an Wilhelm Reich". Vor und nach der Maueröffnung war Eva in Berlin, nutzte den Orgonakkumulator bei uns und lobte unsere Arbeit. Sie beurteilte die Aufnahmen zu einem Orgonomieseminar, zu der auch Blutdiagnostik gehörte, und war begeistert von unseren Aufnahmen. Sie bezeichnete sie als das Beste was sie je gesehen hatte und die Aufnahmen über Muttermilch brachten sie total aus dem Häuschen. Sie sah bei uns das, was sie jahrzehntelang gesucht hatte. Außerdem musste ich in Halle das Theaterstück "Die Richtstadt" aufnehmen in einem Theater, in dem Peter Sodann Direktor war. Eva glaubte dass dieses Theaterstück wegen des revolutionären Charakters in der DDR bald verboten würde. Also zeichneten wir es mit zwei Kameras auf. Das war noch vor der Maueröffnung. Peter Sodann wurde nach der Maueröffnung einer der Tatort Kommissare und kandidierte 2009 als Bundespräsident für die Linkspartei.

In unserem Buch Der Orgonakkumulator missfiel Eva die Passage, die Reich-Erben wären nicht interessiert gewisse Schriften herauszugeben, weil gerade sie sich dafür eingesetzt hatte. Eigentlich war sie, Eva Reich, die Erbin, hatte aber den geschäftlichen Teil an ihre damalige Freundin Mary Boyd Higgins abgegeben. In der Studentenszene hiess es aber die Erben würden die Finger auf die Schriften halten, besonders die Frühschriften, zu deren Zeit Reich noch Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands war. Tatsächlich wurden zwischen 1967 und 69 viele Frühschriften nachgedruckt, weil das Museum sie einfach nicht herausgab. Dass ist meines Wissens auch heute noch so, doch kann man vieles als Xerox vom Museum in Maine bekommen. Ausserdem gibt es, ich glaube es ist sogar das Gesamtwerk, auf Mikrofilm in Berlin, München und anderen Städten in Universitätsbibliotheken. Das Buch Der Orgonakkumulator in einer Auflage von 5000 war in keinem grossen Vertrieb und erhielt wohl auch deshalb keine 2. Auflage. Ansonsten wäre ein Vorwort von Eva hilfreich gewesen. Denn den Orgonakkumulatorenbau gab es seit Anfang der 80er Jahre von Berlin aus.

Wir waren mächtig stolz darauf eine richtig gebaute Kabine für ganz Europa, ja sogar für die ganze Welt auf den Weg gebracht zu haben. Die Amerikaner, die Berlin besuchten waren erstaunt wie weit wir auf diesem Gebiet waren. Wir stellten den Orgonakkumulator auf Veranstaltungen aus. Nach der Maueröffnung fuhren wir, Beate Freihold und ich mit einem Orgonakkumulator über die Grenze an der Bernauerstrasse zur Friedrichstrasse und der Strasse Unter den Linden. Dort in einer Parallelstrasse, in einem ehemaligen Gebäude der Stasi konnte jeder bei einer 1.Veranstaltung zur Orgonomie im Osten den Orgonakkumulator bestaunen und erproben. Das war schon verrückt und ich war ein bisschen stolz darauf den Orgonakkumulator in den Osten gebracht zu haben.

Gastgeber dieser Veranstaltung war ein Ostverein, die "Gesellschaft zur Förderung der Psychoanalyse", die ein grosses Interesse an Reich hatte. Ein Mitglied war die Redakteurin des Berliner Ostradios DT64, Tanja Braumann. Die GFP hatte eine eigene Zeitung, die "ICH" und Tanja forderte mich auf einen Artikel zur "Arbeitsdemokratie" zu schreiben. Das Prinzip der Arbeitsdemokratie wurde sogar von Reichianern im Westen bekämpft, da sie gerne Organisationsformen organisieren wollten. Arbeitsdemokratie ist aber etwas anderes und lässt sich nicht organisieren.

Die ICH hatte 2 Redakteure. Leider las nicht Tanja meinen Artikel, sondern der andere Redakteur. Er verstand ihn nicht und meinte, was er nicht verstehen würde, würde auch niemand im Osten verstehen, deshalb kam der Artikel nicht in die ICH. Man kann ihn jetzt auf dem Internet lesen unter http://www.trettin-tv.de/orgon/abgrau.htm

Tanja ermöglichte auch auf DT64, ein damaliger Ostradiosender, ein Interview mit mir und Jürgen Wellhausen, unserem Fotografen und Mikroskopexperten, zu bringen. Das geschah auch in einer Livesendung. Auch andere aus der Reichszene sprachen in anderen Folgen der Sendung. Letztlich wurde das Thema abgesetzt, weil der Hauptredakteur der Sendung eine Ideologie nicht durch eine andere ersetzen wollte, ein ideologisches Denken.

Die GFP gab uns die Möglichkeit zu einer bezahlten Arbeit. Die Mitglieder der GFP konnten sich gebührenfrei unsere Videos ausleihen oder in der Bibliothek in Pankow anschauen. Viele machten davon Gebrauch. Zu diesem Zwecke musste ich Ostberliner werden und hatte meinen Hauptwohnsitz in Pankow. Im April 92 stellte ich auf einer Hauptversammlung der GFP das Projekt repressionsfreie Erziehung vor, aus dem der 1. selbstregulierte Kinderladen Berlins - IPSO entstand, in dem ich selber arbeitete und das Projekt auch betreute. Leider setzten sich die Ansätze nicht durch. Die Ostler hatten eine ganz andere Struktur wie die Westler.

Ich arbeitete damals nicht als Therapeut, aber man drückte mir Geld in die Hand mit der Bitte zur Therapie. Heute wäre das möglich, aber damals wollte ich mich nicht darin vertiefen und lehnte ab. Viele gingen dann in das Ströme- Zentrum in Berlin -Schöneberg.

Damals 1989 startete auch die Cloudbustinggruppe in Berlin. Personen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland wurden zusammengezogen. Die Gruppe fand keine richtige Richtung und löste sich 1995 wieder auf. Ich war Redakteur in der Zeitschrift EMOTION, die zwar gute Artikel (jedenfalls damals) herausbrachte. Auch haben Prints durch das Internet an Interesse eingebüßt.

Die damalige Wilhelm Reich Gesellschaft zu der ich gehörte war für mich enttäuschend. Das Reichinstitut für Berlin war keine öffentliche Institution und damit auch enttäuschend. Man konnte da nicht arbeiten. Eva Reich gab uns Videos aus USA mit. Ich musste einen Vertrag unterzeichnen in dem auch stand dass im Wilhelm Reich Institut ein feuerfester Tresor gebaut werden sollte. Heute gibt es dieses Institut in diesem Hause nicht mehr. Mehr Standhaftigkeit entwickelten wir als wir von Berlin fort gingen und das Wilhelm Reich Orgoninstitut Köln/Nümbrecht gründeten. Das ist jetzt 18 Jahre her. Hier befindet sich auch das orgonomische Videoarchiv http://www.trettin-tv.de/orgon/v2.htm (Dieses Archiv ist heute nicht mehr offen) Was geschah in dieser Zeit nicht in Berlin.

Berlin hatte keine ausgesprochene Orgasmusreflextherapie, auch genannt Orgontherapie. Die mikroskopischen Aufnahmen hatten die Farbe ausgeblendet. Jedes normale Mikroskop hat Farbe. Dies konnte nicht im Sinne Wilhelm Reichs sein. Hier zeigte sich die indifferente Haltung zum Orgonfarbring, den man auch bei Durchlicht sieht. Es handelt sich hier nicht um eine physikalische Täuschung durch Kontrastverfahren. Die damalige Forschung zur Orgonenergie wurde nicht fachgerecht durchgeführt und somit falsche Ergebnisse erzielt. Alle diese Fehler haben wir inzwischen korrigiert. Es gibt eine Studie zur Orgonenergie und auch die Orgasmusreflextherapie kann man heute wieder lernen.

Außerdem gibt es jetzt wieder ein richtiges Wilhelm Reich Orgoninstitut mit einem Ableger in Berlin. Trotzdem war die Berliner Zeit 1977-93 sehr produktiv und ich denke gerne an diese Zeit zurück. Besonders an die erste Orgonakkumulatorenwerkstatt, die sich im dritten Stock der Adalbertstr. in Berlin Kreuzberg befand, das war direkt an der Mauer.

J.T. 9.11.2009

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