Einige Anmerkungen zum Schwerpunktthema

"Zukunft der Arbeit"

des Netzwerktreffens in Hannover am 11.12.99

von John Trettin


Arbeit ist ein so umfangreiches Thema, daß wohl kaum wenige Stunden ausreichen, um es auch nur annähernd erschöpfend behandeln zu können. Deshalb einige Gedanken nach dem Treffen von Hannover dazu.

Jegliche Art von Gebrauchswerten oder Waren entstehen ausschließlich durch menschliche Arbeit. Wenn wir von Produktion sprechen, so abstrahieren wir zunächst von der Arbeit, die die Natur aus sich heraus leistet, die sozusagen den Ausgangspunkt für die menschliche Produktion stellt und auch ihre Notwendigkeit begründet, und sei es nur durch den Kreativitätsdrang, der dem Menschen innewohnt.

Durch die Produktion verändert der Mensch die äußerliche Natur, doch verändert er sich selber auch.

Herrschaftsverhältnisse hingegen sind Produktionsverhältnisse, in denen der Mensch seiner Natur und seinen Produkten entfremdet ist. Die Herrschaftsverhältnisse werden nicht biologisch, sondern sozial weiter- "vererbt". Die nachfolgenden Generationen müssen erst durch einen Anpassungsprozess gehen, der sie den Verhältnissen angleicht. Auf diesem Weg müssen sie viele Interessen ihrer menschlichen Natur verleugnen, aufgeben, oder besser gesagt sie werden dazu gezwungen, wie u.a. in dem heutigen Schulsystem, das man mit einer menschlichen "Eierlegefabrik" vergleichen könnte. Hätten Kinder das Wahlrecht, könnten die heutigen Politiker einpacken.

In der Familien-, Sozial-, Freizeit-, Kinder- und Schul- Arbeit liegt mit Sicherheit ein wichtiger Schlüssel zum gesellschaftlichen Trägheitsprinzip, das sich später in der Arbeit als individuelle gesellschaftliche Unbeweglichkeit manifestiert. Deshalb müßte das strategisch längerfristig ein Schwerpunktthema sein.

Mit Bestimmtheit liegt in diesem Bereich der Zwangsentfremdung ein Kernstück, warum Menschen ihre Interessen nicht vertreten können, sie zum Teil noch nicht einmal kennen oder leugnen. Der Spaltung der Gesellschaft liegt gleichfalls eine Spaltung quer durch den Menschen zu Grunde (Entfremdung von sich selbst). Das ist das Betrachtungsgebiet der politischen Psychologie.

Nach der Marx´schen Theorie ist alles noch ganz einfach. Der Arbeitende wird seines Mehrwertes beraubt, aber die Klasse der Arbeitenden (Arbeiterklasse) löst die Zuspitzung des Widerspruchs zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen durch Rückvergesellschaftung der gesellschaftlichen Arbeit und ihrer Werte. Doch dieser Widerspruch nahm historisch derartig verschlungene Wege an, daß es die Arbeitenden als Klasse heute nicht mehr gibt.

Arbeitende ja, Klasse wohl kaum,- jedenfalls nicht so. Auch haben sich die Arbeitenden nicht revolutioniert, sie sind eher verbürgert- träumen vom Aufstieg, selber mal Chef zu werden. Revolutioniert haben sich Teile des intellektuellen Bürgertums (als intellektuell Arbeitende). Trotzdem ist die Marxsche Dialektik richtig. Das Umschlagen zu einem Impuls in Richtung Veränderung ist selbst ein Stück Arbeitsleistung- doch eine Zündung zu einer umfassenden Veränderung findet zur Zeit nicht so recht statt. Warum das so ist, wäre eine interessante Fragestellung.

Alles in allem haben wir keine entsprechende Analyse für unsere Zeit, zumindest keine die zu einer allumfassenden Strategie der Veränderung führen könnte. Vielleicht gibt es so etwas generell auch nicht mehr. Alles gleicht mehr einem Instrumentenblindflug in der Hoffnung, die Wolken zu durchdringen und irgendwo anzukommen. Alles recht pragmatisch, in dieser unserer Zeit.

Der stalinistische Entfremdungssozialismus, der real untergegangene Sozialismus hat der Sache großen Schaden zugefügt und den Glauben in den wissenschaftlichen Marxismus erschüttert. Gleichzeitig hat er gezeigt, daß die wahren Helden wirklich nur die Massen sein können und nicht ihre Parteien, die ausnahmslos versagten und die bestehende schlechte Situation nur noch verschlimmerten, oftmals Auswege sogar autoritär versperrten.

Dabei waren es die Fehler derjenigen, die Marx in seiner Bedeutung nicht verstanden. Da waren z.B. die marxistischen Philosophen, die nicht in der Lage waren, neuere Erkenntnisse wie die der Psychologie dialektisch in die Soziologie miteinzubeziehen und in die Massen zu tragen, wie beispielsweise Wilhelm Pieck

Das ist allerdings schon 70 Jahren her und heute auch nicht viel anders. Auch ein Manko an Kreativität ist zu beklagen- ein Bereich, den inzwischen die unpolitische Kunst besetzt hat. Die Revolutionäre revolutionierten sich innerlich nicht und so wurde aus der Diktatur des Proletariats die Diktatur der Diktatoren. Dies ist einer der besten Beweise für die Thesen von Wilhelm Reich, daß der Mensch ein äußeres System strukturell verinnerlicht und den Revolutionsbegriff nur mystifizieren kann, wenn er keine Kriterien für eine Emanzipation hat. Innerhalb eingetretener Pfade gibt es kaum grundsätzliche Perspektiven, nur Reproduktionen des Alten.

Die bürgerliche Revolution der 68er ging u.a. deshalb so gut, weil sie auch einen emanzipatorischen Aspekt hatte und damit Perspektive.

Und wie ist es heute? Erhebung der Arbeiterklasse ist noch soziologisch verständlich.- Erhebung der Arbeitslosen stellt einen schon vor ein größeres Rätsel.

Es liegt in der Natur der Sache, daß vollentwickelte Produktionen weniger Arbeitskräfte brauchen. Spätestens ab diesem Punkt zeigt sich das Problem der Arbeit und Verteilung erneut. Wie da herauskommen- diese Frage mußte auch in Hannover weitgehend offen und unbeantwortet bleiben.

Eine wirkliche Frage nach gerechter Verteilung von Arbeit und Wohlstand ist auch heute noch eine kitzlige Frage, die eigentlich nicht offen angegangen wird- weder von Sozialdemokraten noch von Grünen. Auch den Kommunisten nimmt man eine Ehrlichkeit nicht mehr ohneweiteres ab. Letztlich blieben von ihren Erneuerungsversuchen nur eine unproduktive Wirtschaft wie in der UdSSR und eine neue Diktaturclique übrig, wie jetzt in China.

In früheren Zeiten arbeitete man noch mit mehr geschlossenen Konzepten, wie beispielsweise: Was treibt die Veränderung an? Und welche Bevölkerungsschicht ist ihr Träger? -Wie kann das Bewußtsein geweckt werden? (beispielsweise das Sponti - Prinzip der Betriebsgruppen der 70er Jahre: Untersuchung- Aktion- Organisierung (U.A.O.) Das kannte auch noch der Genosse Fischer.

Heute arbeitet man punktuell und die Ökologie war schon das letzte geschlossene Konzept. Es hätte ein Ausgangspunkt zur allgemeinen Vertiefung werden können, denn es bezog den Naturprozess ein. Leider wurde es politisch ein Oberfächenflop,- wäre es nicht so, würde es heute wohl kaum das Netzwerk geben. Die Ökologen verpaßten es, Arbeit als einen Naturprozess zu verstehen und seine Kriterien beschreiben zu können. So entfremdeten sie sich ebenfalls von tatsächlichen Grundlagen des Seins, dem produktiven Lebensprozess (Arbeit), so wie die Sozialisten es vorher durch das Ersetzen der Wirklichkeit mittels einer Ideologie taten. Der grüne Liberalismus ist heute technokratisch ohne Tiefe und deshalb anfällig für jede Art von opportunistischem Kompromiß.

Letztlich weiß auch ich keine Antwort auf die von mir aufgeworfene Frage. Revolutionäre Erhebungen scheinen der Vergangenheit anzugehören. Selbst die DDR-Revolution von 89 veränderte sehr schnell ihren Slogan "Wir Sind das Volk" in "Helmut, nimm uns an die Hand und führ uns in das Wirtschaftswunderland"- Unglaublich!

Die Frage nach Strategie wird wohl auch in Zukunft erst einmal unbeantwortet bleiben, denn es müßten die Menschen selber sein, die die Verhältnisse verändern wollen, politische Organisationen können zunächst nur Anschiebefunktion haben.

Ohne allerdings den jetzigen Entfremdungscharakter der Arbeit hervorzuheben wird es wohl kaum eine Qualitätssteigerung der Umstrukturierungsfrage geben. Ein nicht entfremdeter Mensch liebt im allgemeinen seine Arbeit, nimmt sie ernst und verteidigt sie als einen natürlichen Aspekt seines Lebens.

Vielleicht liegt da eine der Lösungen, die in Hannover zwangsläufig zu kurz kommen mußten.

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