Arbeitsdemokratie, Politik & Gesellschaft

von John Joachim Trettin

Wilhelm Reich ist in Bezug auf die BRD untrennbar mit der 1966 begonnenen Studentenbewegung verbunden. Das Reichlager entstammte dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), der 1961 aus der SPD wegen Linksabweichung ausgeschlossen worden war. Die radikalste Fraktion des Berliner SDS, die spätere Kommune 1, die ebenfalls aus dem SDS ausgeschlossen wurde, war es, die die sexuelle Revolution in der ganzen BRD populär machte und sozusagen zu dessen Urheber wurde.

Reichs frühe Schriften aus den 30ger Jahren wurden wieder neu aufgelegt. Der Verdienst des frühen Reichs war es, die Erkenntnisse der Psychoanalyse (individuelle Unterdrückung) in Verbindung mit den gesellschaftlichen Mechanismen (dialektischer Materialismus ) zu bringen. Beide Elemente führten zu einer Revolutionstheorie, die Reich auch dann die sexuelle Revolution nannte. Bedauerlicherweise entstand daraus nicht die erwünschte Befreiungsbewegung - statt dessen wurde Reich von Kommunisten und Psychoanalytiker -Organisationen wegen seiner Ansichten verfolgt.

Die Masse, für die Reich eintrat wählte Hitler - nicht Reich. Reich floh nach Skandinavien und widmete sich zunächst weiter der naturwissen-schaftlichen Arbeit, die letztlich zur Entdeckung der Orgonenergie führte. Da kein regulärer Verlag Reichs Frühschriften herausgab, wurden sie Ende der 60ger Jahre illegal als angeblich skandinavischer Import nachgedruckt.

Dort fand man in den Vorworten zwar immer Würdigungen an den Genossen Reich, der tapfer gegen den Faschismus gekämpft hatte, aber um nicht wegen des Scheiterns der Revolution verrückt werden zu müssen, in die Welt der "Orgone" geflüchtet sei. Jetzt sollte nicht mehr die soziale Revolution, sondern die "Orgone" die Menschheit befreien.

Man zeigte zwar viel Mitgefühl für den Genossen Reich, jedoch schrieb man im Vorwort zum 1969 erschienenen Raubdruck seiner Schrift "Was ist Klassenbewußtsein" : ".... bereits in der sexuellen Revolution entwickelte Reich die reduzierte Genitaltheorie, die auch seiner späteren Orgone Lehre zu Grunde liegt. Wie ist diese Wende zu erklären. Wilhelm Reich ist - höchstwahrscheinlich - nach seiner Emigration in die USA an einer progressiven Schizophrenie erkrankt. Seine kurze, als Agitationsschrift gedachte, aber nur als Dokument eines klinischen Paranoikers verständliche Schrift "Listen little man" (NY 1948) dokumentiert diese Krankheit. Die klinische Genese dieser Krankheit ist bisher unbekannt. Individualgeschichtlich aber wird dieser schizophrene Zusammenbruch verständlich als Zusammenbruch unter den fortwährenden politischen Enttäuschungen Reichs von 1928 (Gründung der Sex- Pol in Österreich) bis 1934. Nur so läßt sich auch seine spätere Wende zu den "Orgonen" verstehen; ...." So wollte also die politische Studentenbewegung ihren Vater der sexuellen Revolution verstehen, - krank und paranoid. über die Orgonomie gab es aber zu damaliger Zeit praktisch keinerlei Wissen.

Trotzdem rief man dazu auf diese Entwicklung Reichs zu ignorieren und sich auf seine älteren Theorien zu besinnen. Das diese bereits eine Modifikation in Form der Arbeitsdemokratietheorie erfahren hatten, blieb verborgen. Das Erstarren progressiver Tendenzen in der kommunistischen Welt, besonders der Sowjetunion der 30er Jahre, die kein Einzelfall war, wurde hierbei völlig ignoriert. Die hätte man nämlich gut in dem Buch "Die sexuelle Revolution" nachlesen können, die von der Europäischen Verlagsanstalt bereits 1966 herausgegeben wurde. Hier wurde ein ganzes Stück Reichscher Sozialwissenschaften unterschlagen.

Das Linksjournal Konkret brachte im Sommer`69 einen Artikel über Wilhelm Reich, der dem frühen Reich den späten Reich in Abänderung von Textstellen seiner Bücher, gegenüberstellte. Die sexuelle Revolution der BRD entwickelte sich jedoch sehr am Rande dieser politischen Szene, fast unspürbar jenseits der Parolenschreierei und war schon damals im eigentlichen Sinne nicht linkspolitisch, obwohl ins linke Lager integriert.

Gewaltrevolutionäre und Kulturrevolutionäre standen sich im Kern bereits damals schon inhaltlich gegensätzlich gegenüber. Während die Politfreaks immer mehr nach zentralistischen Parteien drängten (KPD/ML, KPD/AO, KBW), bildete die Gegenseite, die sogenannten Spontaniisten (Spontis) ihre Gruppen wie AK, RK, PL etc..

Doch auch hier verschwand die Reichsche Theorie immer mehr dort, wo sie überhaupt noch eine Rolle spielte. Die Psychofreaks orientierten sich an Adlers individual Psychologie (Berlin-Zürich). Von Reich blieb nur noch die Körpertherapie, hier allerdings neu entdeckt in Form von Bioenergetik. Daß die von Reich kam, wußte kaum noch jemand.

1972 veröffentlichte der Verlag Kiepenheuer und Witsch die Spätwerke Wilhelm Reichs. Neben dem Buch "Der Krebs" 1971 (Orgonbiophysik) erschien auch die um das doppelte, 3. erweiterte Auflage "Die Massenpsychologie des Faschismus" in deutsch. Beginnend mit dem Kapitel "Masse und Staat", stellte Reich die orgonomische Soziologie - die Arbeitsdemokratie vor, die er Mitte der 30 Jahre in Skandinavien entdeckte und wissenschaftlich zu erforschen begann.

Jedoch fand Reichs Gesellschaftstheorie, der Arbeitsdemokratie keinerlei Beachtung mehr. Obwohl die Arbeitsdemokratie eine entwickelte Soziologie darstellt, die sich nicht an einer Ideologie, sondern an natürlicher Arbeit als Basis materieller Produktion orientiert, wurde sie von allen Reichorganisationen unterdrückt, die auch nur eine annähernde Affinität zur Politik hatten.

Bürgerliche Reichorganisationen, die aus konservativen Gründen kein, oder nur wenig Interesse für gesellschaftliche Vorgänge hatten, benutzten den Begriff der Arbeitsdemokratie als ideologische Waffe, um zu begründen, warum die Arbeitsdemokratie genau an ihrer Haustür enden müßte und auch richtigerweise nach Reich dort enden muß. Andere wiederum benutzten den Ausspruch Reichs "Arbeit statt Politik" als politisches Statement in dessen Mittelpunkt sie selbst ihre politischen Interessen etablierten.

Die Gesellschaft hat der Theorie der Arbeitsdemokratie eine klare Absage erteilt.

Obwohl sie keine Ideologie ist, existiert sie trotzdem, jedoch unreflektiert. Auch ich glaube heute nicht mehr an die Arbeitsdemokratie als theoretische Kraft. Ihre Darlegungen in schriftlicher Form unter dem Begriff "Orgonomische Soziologie" wurden in den 80er Jahren in Berlin, besonders von Reich-Sympathisanten ignoriert oder sogar offen bekämpft. Vertreter der Arbeitsdemokratie mußten sich von denen als Idioten beschimpfen lassen, die Reich für ihre politischen Verwirrungen ausnutzen wollten und das als wertvolles Engagement verstanden.

Trotzdem halte ich es für wichtig, das konsequent unterdrückte Material über Reichs Arbeitsdemokratie an die Öffentlichkeit zu bringen und in Verbindung zur heutigen politischen Lage und Perspektiven zu stellen und ständig zu erweitern. Das soll in der folgenden Zeit hier in dieser Rubrik geschehen.

John Joachim Trettin, 15.2.97


Arbeitsdemokratie, Selbstregulation und Politik, 1992

Politik in der Orgonomie, 1994

Leider hat es sich eingebürgert einer Kritik nicht mehr, so wie es früher üblich war, durch eine Gegenkritik zu begegnen. Wir finden es sehr bedauerlich, daß freie Meinungsäußerungen juristisch bedroht werden, mit dem Zweck die Gegener einzuschüchtern oder sich finanziell an ihnen bereichern zu wollen. Wir verurteilen dieses Vorgehen aufs schärfste. In einer freien Gesellschaft brauchen wir auch den entsprechenden Freiraum für kontroverse Diskussionen, die auch einen polemischen Charakter haben kann. Wir möchten hier nochmals herausstellen, daß es weder unser Ziel ist jemanden persönlich zu beleidigen oder finanziell zu schädigen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung lassen wir uns aber nicht nehmen. Sollten aber doch Angreifer glauben, statt mit Kritik mit dem bürgerlichen Recht gegen uns vorgehen zu wollen, sind wir inzwischen durch manche Erfahrung, die wir machen mußten, bestens darauf eingerichtet.



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