Psychiatrische Orgontherapie

Dr. Morton Herskowitz


Nach einem Vortrag von Dr. Morton Herskowitz an der Universität Hamburg,

3. November 1993

Übersetzung aus dem Englischen von Krista Marek

Wir danken Morton Herskowitz für die Genehmigung diesen Vortrag in Deutsch publizieren zu dürfen


"Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten. Wie kam es dazu, ich weiß es nicht. "

Das sind die Eröffnungszeilen von Jean -Jacques Rousseau Sozial Vertrag. Während dieses Vortrages, so hoffe ich, werden Sie mindestens zum Teil eine Antwort auf diese Frage finden.

Der Schlüssel ist die Entwicklung der Panzerung. Diese Sichtweise folgt Reichs Charakteranalyse in der psychoanalytischen Behandlung. Er kam zu der Beobachtung, daß der Charakter ebenso im Körper repräsentiert ist als auch im Verhalten ausgedrückt wird, daß emotionale Unterdrückung ein somatischer wie psychologischer Vorgang ist.

Große Schriftsteller haben das erkannt und sie beschrieben den Charakter in körperlichen Begriffen: die angehaltene Atmung, die von Wut verbissenen Kiefern, der halsstarrige Nacken und so fort.

Panzerung kann ein freies Lachen in ein Gegackere und Gekicher verwandeln. Es kann eine Frau dazu bringen mit der Stimme eines jungen Mädchens zu sprechen. Es verändert eine Funktion nicht nur graduell sondern qualitativ. Das Verhalten wird dadurch mehr voraussagbar und stereotyp. Panzerung kann versklaven und einsperren.

Man findet Panzerung oft in muskulärer Spannung, aber auch in verhangenen Augen, in übermäßigem Körperfett, etc.. Sie ist ein dynamischer Prozeß, der Energie verbraucht. Panzerung bindet Energie und schränkt körperlich, emotionell und gedanklich ein. Es ist wie ein Kokon, an den wir uns langsam gewöhnen.

Reich betrachtete alle lebendigen Systeme als pulsierend. Bei den Säugetieren gibt es viele verschiedene Pulse, die in einem allumfassenden Gesamtpuls als energetische Ladung und Entladung funktionieren. Der Herzpuls, der Lungenpuls, der Magen-Darmpuls, der Gehirnpuls etc.. Panzerung schränkt die Pulsation bis in alle Bereiche ihrer Existenz ein, im Extremfall bis zum bloßem Hinvegetieren.

Die Panzerung blockiert den Fluß natürlicher Impulse und krümmt und verbiegt sie zu einem neuen Inhalt. Genauso wie Glas oder Wasser Licht bricht, bricht Panzerung natürliche Impulse.

Zum Beispiel bei der natürlichen Aggression eines Kindes, die von den Eltern nicht toleriert wird und sie das Kind deshalb bestrafen, verwandelt sich diese natürliche Aggression in Wut, Abscheu, Hinterlistigkeit oder andere sekundäre Manifestationen. Die wiederum können durch oberflächliches Klagen, durch Höflichkeit, Steifheit oder durch andere Formen verdeckt werden. Deshalb benutzen die Orgonomisten die Persönlichkeitsstruktur nicht in Begriffen von Es, Ich und Überich, sondern in Begriffen der Kernfunktionen, sekundäre Schichtfunktionen und Oberflächenschichtfunktionen. Die Oberflächenschicht ist der Aspekt, der in der Gesellschaft zum Tragen kommt. Diese drei sind die Ebenen mit denen in der Therapie gearbeitet wird, jedoch in umgekehrter Reihenfolge, von der Oberfläche, über die Sekundärschicht zum Kern.

Ich möchte jetzt zur Einführung einige Beispiele erläutern, um zu zeigen was in der Therapie geschiet.. Einen Patienten, dessen Beschwerden wir uns bereits angehört haben, legen wir zum ersten Mal auf die Couch und ich sage ihm, er soll atmen - tief einatmen und tief ausatmen. Ich lasse ihn dann in dieser Weise so weiter atmen. Er macht das und nach einer kurzen Weile beginnt er unwillkürlich zu lachen. Und er sagt : "Worüber zur Hölle lache ich ? ", und das führt dazu, daß er noch mehr lachen muß. Die ganze Stunde macht er so weiter. Er versucht die ganze Zeit sein Lachen zu stoppen, was ihm auch mehrmals gelingt, aber dann bricht es wieder aus ihm heraus. So macht er weiter, mit Lachen und dem Versuch das Lachen zu stoppen. Das geht so über die ganze volle Stunde. Am Ende sagt er: " Das war eigenartig, aber ich fühle mich besser."

Ein 2. Patient ist eine Frau mit einer kurzen psychotischen Episode. Ihr Mann, ein Arzt verließ sie mit seiner Sekretärin. Er nahm das ganze Geld mit und ließ sie mit 2 Kindern zurück. Ich wurde ihr durch einen Studenten der Orgonomie empfohlen, der sich in der psychiatrischen Weiterbildung befand und erkannte, daß er ihr nicht weiterhelfen konnte. Deshalb empfahl er ihr zu mir zu kommen. Als ich sie untersuchte, stellte ich keine schweren Panzerungen an ihr fest. Aber sie war sehr schwer in ihren Augen gepanzert und sie war ohne Kontakt. Sie fragte mich ständig: " Sind sie Dr. X? " Das war der Arzt, der sie an mich überwiesen hatte. Ich antwortete: "Nein, ich bin Dr. Herskowitz, Dr. X hat sie zu mir geschickt." Sie wiederholte diese Frage ungefähr alle 5 Minuten, dann fragte sie: "Werden sie mir etwas antun?" Ich versicherte ihr, daß ich ihr weder weh noch etwas Böses antun würde.

Sie sagte dann zu mir:: " Öffnen sie ihren Mund .", und ich öffnete meinen Mund und sie untersuchte ihn und sie war darüber beruhigt, daß ich sie nicht aufessen würde. Sie legte sich zurück auf die Couch und wir begannen zu arbeiten. Was ich sagte war: "Folgen sie der Taschenlampe mit ihren Augen , ohne ihren Kopf zu bewegen." und sie folgte der Taschenlampe mit ihren Augen.

Dann sagte ich: "Ich suche einige Punkte auf jeder Wand" und während sie lag bewegte sie die Augen zu jedem dieser Plätze. Wir fuhren so für den Rest der Sitzung fort und so arbeiteten wir einfach mittels ihrer Augen an ihrem Kontakt zur Welt . Am Ende der Sitzung sagte sie : "Das war gut."

Reich unterteilt die Panzerung in 7 Segmente: Okulär, Oral, Hals-Nacken, Brust, Zwerchfell, Bauchmitte und Becken. Jedes dieser Segmente ist als einzelnes fähig individuelle Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Meistens jedoch werden Emotionen durch mehrere Segmente gemeinsam ausgedrückt. Jedes einzelne Segment von ihnen ist fähig ein Gefühl auszudrücken. Im Falle von Psychosen sowie bei Schizophrenie und gespaltenen Persönlichkeiten ist das Augensegment besonders wichtig.

In der Störung des Gespaltenseins tritt die Realität weg und wenn man die Patienten mit Augenpanzerung befragt, berichten Sie manchmal Erstaunliches. Zum Beispiel eine Frau sagt, wenn sie sich im Spiegel betrachtet, sieht sie nur die Umrisse ihres Körpers. Ein anderer neurotischer Patient sagt, das er gelernt hat, wenn er sich in einer Konfrontation mit jemandem befindet, nur einen kleinen Aspekt der anderen Person zu fokussieren, und nur diesen, um die Konfrontation durchstehen zu können.

Eine andere Patientin sagt, daß wenn sie ihre Augen schließt, sie sich nicht mehr an das erinnern kann, was sie gerade gesehen hat. Sie hat kein visuelles Gedächtnis.

Desweiteren hört man Dinge, auf die man sonst nicht kommen würde, die aber im Zusammenhang mit dem Augensegment stehen.

Das Augensegment ist ein übergreifendes Segment welches nicht nur die Augen betrifft, sondern auch die Ohren beeinträchtigt und Reich sagt, daß es ein übertragender Teil der grundlegenden Gehirnfunktion ist.

Das orale Segment beeinflußt die Stimmlage. Das betrifft die Patienten die wimmern, die festgehalten sprechen, die mit zusammengepreßten Kiefern sprechen, und schließt die Funktion von Beißen, Würgen und Saugen ein.

Es betrifft die Leute die ihren Mund nicht halten können und die ganze Zeit sprechen und es betrifft auch Emotionen wie freies Weinen, Brüllen und zum Teil auch die Funktion von freiem Würgen, obwohl das Würgen hauptsächlich mit dem Zwerchfell in Verbindung steht.

Wenn jedoch das orale Segment blockiert ist, kann sich das Zwerchfell nicht öffnen und es ist unmöglich zu erbrechen.

Die Panzerung im Halssegment ist mit immer währendem Ausschau halten nach Gefahren verbunden, als hätte man Angst davor geschlagen zu werden. Diese Leute halten ihren Nacken versteift und sind unfähig sich in diesem Bereich zu entspannen. Es ist , als wenn sie von der Erstarrung überwältigt worden wären und als würden sie nicht wissen, was ihnen im nächsten Moment wiederfahren könnte. Sie müssen deshalb ihren Nacken steif halten, damit sie die Gefahr besser im Auge behalten können.

Ebenso gehören dazu die Steifheit im Hals, Halsstarrigkeit, Hochmut, wie auch den Kopf vom Rest des Körpers zu separieren. Das Nackensegment spielt gleichfalls eine Rolle bei tiefem Weinen und Brüllen.

Das Brustsegment ist eine von den wichtigsten Segmenten in der therapeutischen Behandlung, da die Brust die Hauptkraft für die Bewegung der Energie ist. Der Ausdruck jeglicher Emotion, ist mit der vollen Ausdehnung der Brust verbunden. So wenn wir wütend sind, wenn wir leidenschaftlich lieben, wenn wir Angst haben. Wenn wir weinen drücken wir Trauer mittels unserer Brust aus. Das bedeutet, daß der emotionelle Ausdruck immer mit der großen Ausdehnung unserer Brust verbunden ist. In umgekehrter Weise, wenn wir eine Emotion unterdrücken wollen, ziehen wir unsere Brust zurück. Wenn wir nicht weinen oder nicht mehr wütend sein wollen, halten wir die Brust fest, sodaß wir jede Bewegung nach außen hin bremsen.

Die meisten von uns gehen in dieser Weise damit um und halten den Atem dabei an. Deswegen weise ich als erstes den Patienten an zu atmen, denn sehr häufig wenn der Patient anfängt zu atmen, passiert innerhalb kurzer Zeit etwas Emotionales, ohne das der Patient es will. Der Patient fängt an zu weinen oder zu lachen. Etwas, was für längere Zeit durch die gepanzerte Brust zurückgehalten wurde, kommt durch das Atmen hoch und wird wiedererlebt. Die Schultern und die oberen Extremitäten sind Teile des Brustsegments. So ist das Brustsegment beim Ausdruck von Ärger und Sehnsucht. beteiligt.

Es kommt nicht von ungefähr das sich eines der Hauptsymptome wie Angst durch ein Gefühl ausdrückt, als hätte man ein Gewicht auf der Brust. Das ist deshalb, weil die Brust zusammengezogen ist ,- der funktionale Gegensatz zur Ausdehnung.

Das Zwerchfellsegment ist bei allen Ausscheidungen, sowie der Entleerung des Darms und der Blase beteiligt, dies gilt im besonderen für das Gebären. Das Zwerchfellsegment ist mit dem Sodaplexus verbunden, welches eines der größten Nervengeflechte im Körper ist. Da es nahe am Herzen liegt drücken sich auch viele Gefühle und tiefe Emotionen durch diesen Bereich aus. Wenn dieser Bereich ungepanzert ist, sind wir in der Lage energetisch starke Gefühle im Zwerchfell zu haben. Ich werde später noch weiter darauf zu sprechen kommen, daß wenn das Zwerchfell des Patienten frei von Panzerung ist, sich starke energetische Gefühle bei ihnen einstellen, die in typischer Weise zum Bauch und Becken strömen.

In der Bauchmitte ist die Panzerung einfacher. A.S. Neill, der Gründer der Summerhill Schule, teilte alle seine Studenten in 2 Gruppen, in Weichbäuchige und Hartbäuchige ein. Die Weichbäuchigen waren diejenigen mit mehr Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl, die Hartbäuchigen waren die angstvolleren Studenten.

Eine kleine Anekdote dazu: Eine Patientin, die am Zwerchfell entpanzert wurde, begann mehr Vergnügen als zuvor zu empfinden. Sie kam, die folgende Woche zu mir und sagte : "Ich habe etwas was ich Ihnen zeigen möchte." Und sie legte sich auf die Couch und hob ihre Bluse hoch und in der Mitte ihres Bauchs war ein roter Fleck" Und sie sagte: "Sehen Sie das, das ist ein Rotlicht und bedeutet STOP."

Die Beckenpanzerung hat 2 Funktionen. Einerseits blockiert sie alle Vergnügungen und auf der anderen Seite drückt sie die gesamte Wut und Verachtung aus, die jemand besitzt. Deswegen ist es auch kein Zufall, daß in vielen Kulturen der schlimmste Ausdruck "fuck you" ist.

Bei der Entpanzerung werden alle konventionellen Methoden benutzt. Sprechtherapie wird angewandt. Zeitweilig kann es auch vorkommen, daß man medikamentös behandelt. Der Therapeut in der Arbeit benutzt hauptsächlich seine Intuition und wendet seine gesamte Kunst und individuelle Aufmerksamkeit an. Die Entpanzerung ist wirklich ein kreativer Prozeß und jeder Therapeut hat seine eigene Technik entwickelt, um mit spezifischen Fällen von Panzerung umzugehen.

Man ist sicher, daß ein Bereich ungepanzert ist, wenn jeder Patient zu der Wiedergabe aller Emotionen fähig ist, die zu diesem Segment gehören.

Zum Beispiel die Augen sollten fähig sein sich frei zu bewegen. Sie sollten in der Lage sein Wut, Angst, Traurigkeit, Sehnsucht, Mißtrauen und sogar Wahnsinn auszudrücken zu können.

Wenn ein Segment nicht ausdrücken kann, was es ausdrücken können sollte, zum Beispiel nach dem Grad wie man Wut ausdrücken könnte, ist dieses Segment gepanzert.

Manche Leute haben Orgontherapie als Massage oder Manipulation beschrieben. Es ist keine Massage und keine Manipulation und man könnte mit dieser Beurteilung nicht mehr daneben liegen. Man entdeckt Bereiche von Panzerung die zu einem bestimmten Grad Überempfindlich sind. Wenn sie den Patienten an den Seiten berühren und er zuckt zusammen, oder er ist dort kitzelig, dann ist das Panzerung. Wenn man ihn in den Rücken drückt und es zuviel schmerzt, dann ist das Panzerung. Überempfindlichkeit ist ein Zeichen von Panzerung.

Bei der Arbeit mit den Augen wenden wir die Methode an Gegenständen zu folgen. In der Therapie haben wir Patienten, die mit den Augen wegtreten. Die weisen wir an etwas zu fixieren, damit sie schnell wieder zurückkommen. Bezüglich der Patienten, die mit ihren Augen wegtreten,- lassen wir es zu, daß sie ihre Augen wegbewegen und dann lassen wir sie wieder einen Punkt fokussieren, sodaß sie selbst lernen wieder zurückzukommen. Wir lassen sie alle Emotionen ausdrücken, Angst, Wut, Traurigkeit etc.. Wir geben den Patienten auch viele Hausaufgaben mit auf den Weg. Wir empfehlen ihnen an einem Schaufenster vorbeigehen und sich alles anzuschauen, danach weiterzugehen und sich daran zu erinnern was sie gesehen haben und danach wieder zum Schaufenster zurückzukommen, um zu sehen ob sie etwas vergessen haben.

Wir empfehlen ihnen Leute auf der Straße zu beobachten, um sich bewußt zu werden welche Kleidung sie tragen, welche Farben sie sehen und was für einen Ausdruck die einzelnen Gesichter haben. Wenn sie in einen Bus einsteigen, sollen sie sich umschauen, um zu sehen welchen Ausdruck die Leute in dem Bus haben. Und in typischer Weise, kommen die Patienten dann zurück in die Praxis und erzählen: "Ich tat das was sie sagten und ich habe vorher nie gemerkt, das jeder entweder wahnsinnig oder traurig ist."

Wenn wir uns das orale Segment, daß mit dem Ausdruck des Gesichtes zu tun hat, anschauen, imitieren wir es oft. Manche Leute haben ausdruckslose Gesichter und wir schauen auch so ausdruckslos zurück. Manche Leute haben wütende Gesichter und wir imitieren ein wütendes Gesicht. Manche Leute haben ein aufgesetztes Lachen, und wir lächeln auch so. Und automatisch verstehen sie.

Beim Arbeiten mit dem Oralsegment drücken wir, wenn die Patienten feste Kiefern haben, den ansetzenden Teil des Kiefergelenkes, was sehr schmerzhaft ist, aber es hilft ihnen die Wut herauszulassen die sie festhalten. Und die Patienten üben zu beißen. Sie gehen nach Hause und beißen in ein Handtuch. Und sie üben zu saugen. Sie gehen nach Hause und nehmen die Flasche von ihrem Kind und nuckeln, falls sie Schwierigkeiten damit haben.

Ein Beispiel dazu: Eine Patientin die zu Hause beißen übte, sagte, daß sie plötzlich ein Bild von dem erhobenen Finger ihres Vaters vor den Augen hatte und sie meinte dann, daß sie gewußt hätte, was das bedeutete. Sie hatte sich immer darüber beschwert, daß sie einen festgehaltenen Hals hatte. Durch diese Erfahrung hatte sie die Möglichkeit durch ihr Trauma durchzugehen und seit dieser Erfahrung, die sie zu Hause und nicht in der Therapiesitzung machte, hatte sie nie wieder dieses Symptom.

Eine andere Geschichte über Stimmen. Ich hatte einen Patienten, der körperlich ein sehr großer Mann war. Er war aus Walsh und die Leute die aus Walsh kommen, singen alle. Er hatte eine sehr starke kraftvolle Stimme, sprach aber mit einer dünnen Stimme. Wir arbeiteten dann an seiner dünnen Stimme und ich fragte ihn, nach seiner Meinung über seine Stimme. Und ich sagte: "Wenn sie mit ihrer Stimme singen, erschüttert das den Raum, aber wenn sie sprechen, kann ich sie kaum hören." Schließlich sagte er: "Wenn ich in einer Bar mit solch einer starken Stimme spreche, habe ich Angst, daß mich jemand zu einem Kampf herausfordern könnte." So hatte er gelernt mit dieser Stimme zu sprechen um in keinen Kampf zu geraten.

Beim Halssegment pressen wir schmerzhaft auf die Muskeln, wenn diese steif sind, um Weinen, Wut und Brüllen hervorzurufen. Jede Emotion ist eine Hilfe für diese verspannten Muskeln. Manchmal üben wir auch den Kopf zu schütteln und dabei NEIN, NEIN zu brüllen. Oder der Patient brüllt NEIN und ich brülle JA, - und wir haben dann diese Art von Begegnung. Wir üben die Fähigkeit sich im Nacken hinzugeben, was für manche Patienten fast unmöglich ist.

Was das Brustsegment betrifft, versuchen wir den Patienten zu einer volleren Atmung zu ermutigen. Manchmal drücken wir auf die Brust. Das hilft dem Patienten eine größere Ausdehnung beim Atmen zu erleben. Wir drücken auch an die inneren Rippenmuskeln um sie zu lockern und die Brust kann sich dann mehr ausdehnen. Ebenso im Rückenbereich. Die Patienten müssen lernen mit mehr Kraft zu schlagen. Es fällt manchen Patienten sehr sehr schwer sich auszustrecken und ihre Sehnsucht auszudrücken. Für manche Leute ist es schwierig ihre Arme auszustrecken und Mama zu rufen. Sie brechen dann sofort in Tränen aus und können nicht weiter machen.

Beim Zwerchfellsegment arbeiten wir viel mit dem Würgereflex. Wir lassen die Patienten ein Glas Wasser herunter schlucken und dann stecken sie ihren Finger in den Hals. Man sollte in der Lage sein so frei wie ein einjähriges Baby erbrechen zu können. Bei einem einjährigen Baby kann man sehen, wie die Milch genauso wieder hochkommt, wie sie sie runterschlucken. Im Laufe ihres Lebens haben viele Menschen diesen Würgereflex verloren. Sie trinken ein Glas Wasser, stecken einen Finger an die Rückseite ihres Halses und alles was sie dann nur noch tun können ist zu husten. Sie können nicht mehr würgen. Der Hustenreflex verdeckt den Würgereflex. Wir arbeiten viel daran den Leuten dabei zu helfen das Würgen wieder beizubringen. Um die Zwerchfellpanzerung zu beseitigen üben wir also den Würgereflex.

Wir lassen die Patienten für das Zwerchfell auch eine Art von Santa Claus Übung durchführen, ein tiefstimmiges HOHOHOHO. Das schüttelt das Zwerchfell und führt auch zu ungewolltem Lachen. Dieses ungewollte Lachen wird bald zu einem ungewollten Schluchzen.

Wie ich schon bereits sagte, wenn all das frei geworden ist, wird sich der Patient einer Energieströmung im Bauch bewußt und jeder möchte dann an diesem Punkt aufhören. Am Anfang bereitet es Vergnügen, doch dann fühlen sich die Patienten schreckhaft und jeder möchte an diesem Punkt aufhören.

Beim Bauchsegment benutzt man, falls der Bauch fest ist, entweder einen schmerzhaften Druck oder einen sanftes Drücken, um dem Patienten die angenehmen energetischen Wahrnehmungen zu erlauben, die jetzt durch diesen Bereich fließen.

Das Beckensegment bindet einen großen Teil von Angst. Das hat zur Folge, daß wenn die Patienten beginnen den energetischen Fluß in Ihrem Becken zu spüren, sie zunächst zum ersten Mal panische Angst, und dann Fallangst bekommen. Für eine Weile haben sie eine harte Zeit. Desweiteren findet man oft, daß die ganze Panzerung, die verschwunden war, wieder zurückkommt, um die Energie zu binden, die zuviel ist, wenn die Wahrnehmungen beginnen das Becken zu durchdringen.

Und wir arbeiten dadurch am Becken, indem wir bestimmte Muskeln bearbeiten, die Reich die Moralmuskeln nannte. Man lehrt den Patienten die Beckenbodenmuskeln zu spannen und zu lockern und wenn wir Erfolg haben und die Beckenpanzerung gelöst ist, erscheint etwas was Reich den Orgasmusreflex nannte. Der Orgasmusreflex ist eine unwillkürliche muskuläre Bewegung im Becken und er steht nicht nur einfach im Zusammenhang mit der sexuellen Aktivität, er stellt sich auch in Momenten hoher Erregung ein.

Zum Beispiel eine junge Frau, die eine Unterhaltungskünstlerin ist, eine Sängerin, gab eine erfolgreiche Abendvorstellung. Das Publikum, sowie auch sie selber war zufrieden mir ihrer Darbietung und plötzlich spürte sie, daß sich ihr Becken unwillkürlich bewegte. Das ist der Orgasmusreflex. Daran sieht man, daß dieser Reflex nicht nur einfach mit Sexualität verbunden ist. Es bedeutet, daß sich Energie in Momenten von hoher Erregung durch das Becken bewegt, wenn das Becken frei ist und diese Bewegung zuläßt.

Der Orgasmusreflex möchte sich in Folge der therapeutischen Behandlung ausdrücken. Das bedeutet aber nicht, das er unmittelbar im sexuellen Leben integriert ist. Manchmal dauert es Jahre bevor dies geschieht. Der Orgasmusreflex, sagt Reich, ist der umfassendste energetische Entladungsmechanismus des menschlichen Funktionierens überhaupt. Energie kann sich durch Denken und Arbeiten entladen, jedoch der Hauptentladungsmechanismus liegt in der sexuellen Entladung und der Mechanismus für die maximale sexuelle Entladung der Energie ist der Orgasmusreflex.

Die Therapie wird grundsätzlich 1-2 Mal wöchentlich angewendet, meistens 1 Mal die Woche. Selbstverständlich sehen wir die Patienten in Krisenzeiten öfters. Therapie wird grundsätzlich im ausgezogenen Zustand angewendet. Der Grund dafür ist, daß wir den Körper einfacher sehen und fühlen können, um nach allen möglichen Hinweisen für eine Panzerung zu suchen. Wir beobachten die Änderungen der Körperfarbe, der Temperatur, ob sich die Haare sträuben und wir schauen wie sich der Körper bewegt. Das alles kann man nicht immer mit Bekleidung sehen. Ein weiterer Grund ist, daß sich der Patient nicht selber hinter seiner Bekleidung verstecken kann.

Orgontherapiepatienten legen wir nicht direkt auf die Couch. Es gibt Patienten mit denen ich 6 Monate lang rede, bevor ich sie auf die Couch lege. So gibt es auch Patienten die zu mir kommen und bei denen ich sehen kann, daß sie keine Kandidaten für die Orgontherapie sind. Ich schicke diese Patienten zu Therapeuten, die nur Verbal- Therapie betreiben. Die sich in der Orgontherapie befindlichen Patienten brüllen, schreien, schlagen und treten. Da sie viel Lärm machen, haben unsere Therapie-Räume einen bestimmten Grad von Schallisolierung, sodaß die Nachbarn nicht zu sehr gestört werden.

Das bedeutet aber nicht, daß es dem Patienten erlaubt ist, Gemeinheiten auszudrücken oder unsere Räume zu demolieren. Dieser Unterschied wird ganz klar gesetzt. Gemeinheit ist kein Ausdruck des Bedürfnisses des Patienten. Diese Art von Verhalten wäre ein Zeichen dafür, daß mit dem Patienten etwas nicht in Ordnung ist und das sollte sich nicht an uns oder den Räumlichkeiten entladen.

Weil es in der Orgontherapie häufig Berührung gibt, könnte es leicht geschehen, daß man in Bereiche gelangt, die nicht in eine Psychotherapie gehören. Deshalb muß der Therapeut in der Orgonomie kategorische Entschlossenheit besitzen, das nichts sexuelles oder quasi sexuelles zwischen ihm und dem Patienten aufkommt.

Alle Altersgruppen werden behandelt, vom Kleinkind an bis ins Alter. Ein Beispiel für eine Behandlung eines Kleinkindes: Eine Mutter mit einem 4 Monate alten Baby. Die Mutter sagt, daß das Kind blaß ist, nicht schläft und nicht richtig ißt. Dieses Muster hat sich immer weiter verschlechtert.

Man schaut sich das Kind an. Seine Brust bewegt sich nicht und sein Gesicht ist zusammengekniffen. Wir sprechen mit der Mutter und finden heraus, was sich so zu Hause tut. Die Mutter hatte vor der Geburt eine Ganztagsarbeit und ihr Tagesablauf bestand darin zu arbeiten und das Haus in Ordnung zu halten. Seit der Geburt mußte sie weiterhin auch alles das tun was sie vorher tat, zuzüglich der alleinigen Pflege für das Baby. Der Ehemann beteiligte sich nicht im geringsten an der Pflege des Kindes. Die Mutter ist einfach überlastet.

Ich fragte die Mutter: "Haben sie mit ihrem Mann darüber gesprochen" und sie fing an, mit einer weinerlichen Stimme zu erzählen, das sie noch nie eine Auseinandersetzung mit ihrem Mann darüber hatte. Also sagte ich zu der Mutter: " Nehmen sie Ihr Kind in Ihre Arme und schreien sie: "Du blutiger Mörder!" Und sie nimmt ihr Kind in ihre Arme und schreit. Das Kind öffnete ganz groß seine Augen und fing ebenfalls an zu schreien. Die Mutter sowie das Baby schrien beide. Und selbstverständlich war das Kind jetzt nicht mehr blaß, sondern sein Gesicht war rot, seine Brust bewegte sich und der Mutter ging es auch besser. Nach der Sitzung ging die Mutter nach Hause und hatte den größten Streit in ihrer Ehe und sie bestand darauf, das sich ihr Mann von nun ab an der Pflege des Kindes beteiligen muß, was er dann Stück für Stück auch anfing zu tun. Das war das Ende der Behandlung des Babys. Das Baby fing von diesem Punkt an aufzublühen.

Ein sehr schönes Beispiel für die Behandlung eines Kindes ist das 9 jährige Mädchen Vicky. Sie hatte zunehmende phobische Symptome. Am Anfang mußte ihre Schlafzimmerbeleuchtung beim Schlafen anbleiben. Dann brauchte sie auch Licht im Korridor. Später auf der ganzen Etage und anschließend im ganzen Haus. Sie entwickelte einen Fall von Agoraphobie und konnte das Haus nicht mehr verlassen. Ihre Mutter brachte sie zu mir und nachdem ich mir ihre Geschichte angehört hatte, legte ich sie auf die Couch und Vicky lag da und lächelte süß-steif und ihr Gesicht war ausdruckslos, mit Ausnahme dieses süßen Lächelns. Ich fing dann an ihren Nacken zu bearbeiten und ihr Nacken war fest. Ich preßte schmerzvoll und fragte sie, ob es ihr nicht weh tun würde. Sie sagte: "Ja., aber ich weiß, daß sie das zu meinem Besten tun." Und so machten wir wochenlang weiter, ich tat ihr weh und sie lächelte zurück und sagte, es sei in Ordnung, weil es zu ihrem Besten wäre.

Ich hatte einen Vorhang, der direkt bei der Behandlungscouch hing, um Geräusche abzuschirmen. In der 4. oder 5. Sitzung, wie ich weiterhin auf Vickys Nacken drückte, meine Finger taten bereits weh, geschah etwas. Plötzlich riß Vicky den Vorhang runter, drehte sich zu mir und sagte: "Fall tot um, du Ratte", und weiter sagte sie: "Warum reist du nicht mit einem langsamen Boot nach China." Es gab zu der damaligen Zeit ein Lied mit dem Titel "I`d like to get you on a slow boat to china "und sie sagte, "warum machst du das nicht auch."

Anschließend schrie und brüllte sie leidenschaftlich und dann weinte sie und ich hielt sie in meinen Armen. Als Vicky die Sitzung verließ, mein Büro ist neben dem Therapieraum, ging sie um meinen Tisch herum wo ich saß und umarmte mich und zum ersten Mal in der Behandlung sagte sie "Danke." - und sie hat es auch so gemeint. Das war der Anfang vom Ende der Klaustrophobie.

Die Regel für die Behandlung von Jugendlichen ist, daß man so wenig macht wie möglich. Die Zeit des Heranwachsens, der Adoleszenz, ist eine Zeit von einem hormonellem Gewitter, eine sehr schwierige Zeit, durch die die Heranwachsenden durch müssen und so ist die Regel, sich mit dem aktuellen Problem zu befassen und sie so schnell wie möglich wieder in die Welt zurückzuschicken. Falls eine Therapie, nachdem die Adoleszenz beendet ist, notwendig ist, können sie zurück in die Therapie kommen.

Wenn man ältere Leute behandelt, hält man sich an die gleichen Regeln. Man macht keine lange dynamische Therapie. Man behandelt das Problem so schnell wie man kann.

Ein Beispiel dafür ist eine 70 jährige Frau, die Mutter von einer meiner Patientinnen. Sie mußte sich einer größeren Operation unterziehen. Als sie aus dem Krankenhaus raus kam, legte sie sich ins Bett und jeden Tag verließ sie das Bett weniger und weniger und wollte immer seltener aufstehen, bis sie völlig von dieser Situation gefangen war. Als die Tochter sie brachte, lag sie ganz steif auf der Couch und die Augen starrten gerade aus. Sie waren unbeweglich. Ich habe als erstes versucht sie dazu zu bringen, ihre Augen wieder zu bewegen, indem sie meinem Finger folgen sollten. Zu Beginn wollte sie das nicht tun, aber langsam, als ich den Finger bewegte, fing sie an, dem Finger zu folgen. Dann bewegte ich ihre Arme und dann bat ich sie selber ihre Arme ein bißchen zu bewegen. Ich drückte auf ihre Brust um ihre Atmung zu mobilisieren. Und als sie die Sitzung verließ, konnte sie sich besser herausbewegen, als sie reingekommen war.

Bei der 2. Sitzung stellte ich fest, daß sie wieder in den alten Zustand zurückgefallen war. Wir sprachen über ihre Angst vor dem Sterben und ich hatte diesen Eindruck, daß sie einen sehr einfachen Abwehrmechanismus entwickelt hatte, etwa nach dem Motto: Wenn ich sie nicht sehen würde, würde der Todesengel sie auch nicht sehen und an ihr vorbeigehen. So sprachen wir über ihre Angst vor dem Tod und sie gab ihre Angst zu und sie war erleichtert, darüber gesprochen zu haben. Dann behandelten wir nochmals ihre Brust, Arme, Beine, und nur nach ein paar Sitzungen konnte sie sich wieder wie vorher bewegen und das ist die Art, wie man alte Leute behandelt

Ich will jetzt eine interessante Geschichte erzählen, von einer langverflossenen Patientin. Ein Arzt schickte mir ein Mädchen um die 20 Jahre, die offensichtlich Schwierigkeiten im emotionellen Bereich hatte. Sie wußte nichts über Freud und nichts über Reich und sie wußte auch nichts über Psychologie. Ich glaubte, daß sie ein guter Kandidat für die Orgontherapie sein könnte. So wir arbeiteten wir und sie machte gut mit. Eines Tages kam sie rein und sagte: "Wollen sie etwas hören " und ich sagte: "Was ist es." Sie sagte: "Ich habe eine Freundin, die geht zu einem Psychiater und alles was die da tun ist nur reden."

Auszubildende in der Orgonomie, die auch an einer psychiatrischen Weiterbildung teilnehmen, sagen alle, daß sie froh sind größere Behandlungsmöglichkeiten zu haben, als ihre Kollegen, weil deren Möglichkeiten wirklich beschränkt sind.

Die Fälle die ich jetzt alle vorgestellt habe waren alle erfolgreich, - das ist aber nicht immer typisch für die Orgontherapie.

Manchmal müssen wir Patienten Monate lang schlagen lassen, um etwas in ihnen zu bewegen oder es bewegt sich nichts oder wir gehen durch Höhen und Tiefen. Therapie ist kein Allheilmittel und nicht für jeden geeignet, aber man kann sagen, daß keine andere Therapie dahin kommen kann wo die Orgontherapie hinkommt. Und ich bin sicher, daß das wahr ist.


Beate Freihold & Joachim Trettin

copyright Freihold/Trettin 1997

Datenschutz