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Lachen gegen Rechts!
Gedanken zu einer Neonazi-Demo in Erfurt, 2002

Erfurt, die eigentlich sehr schöne Landeshauptstadt Thüringens, kennt wohl mittlerweile jeder, da sie aufgrund des Amoklaufes eines Schülers im Gutenberg-Gymnasium im April 2002 zu trauriger Berühmtheit gekommen ist. Darum soll es an dieser Stelle nicht gehen. Einige Monate vorher, als ich mich zufällig in dieser unweit von meinem Heimatort gelegenen Stadt aufhielt, wurde ich Augenzeuge eines anderen seltsamen Spektakels, welches mich zum Nachdenken anregte: Ein Demonstrationszug von Neonazis.

Ich hatte sowas bisher nur im Fernsehen gesehen und als ich bei meinem Aufenthalt in der Stadt erfuhr, dass diese Demo stattfinden sollte, trieb uns (mich, meine jetzige Frau und eine gemeinsame Freundin) die Neugier dorthin.

Nun, ich wäre schockiert gewesen, wenn dort ein riesiger Aufmarsch stattgefunden hätte. Aber stattdessen fuhr ein klappriger Pritschenwagen vor, der später als Rednerpult diente, gefolgt von einem kläglichen Haufen teils verschämt dreinblickender jugendlicher Glatzen und einem ärmlich aussehenden Ehepaar mittleren Alters. Im Ganzen vielleicht 50 Leute. Der Anblick dieser motivationslos latschenden Meute trieb mir eher ein breites Grinsen ins Gesicht. Vom Wagen schallten dazu deutschnationale Parolen.

Dieses Häufchen wurde nun von einem Riesenaufgebot Polizei bewacht, die mehr oder weniger intensiv damit beschäftigt war, die massiv anwesenden Gegendemonstranten auf Abstand zu halten, die mit Druck versuchten, zu den Rechten durchzubrechen. Uns, und auch andere zu keinem der beiden Lager gehörenden Passanten hielt niemand auf, so dass wir direkt bis an die Rechten rankamen und auch hören konnten, was deren Redner zu sagen hatte.

Der Anfang seiner Rede enthielt Verurteilungen gegen die US-amerikanischen Weltmachtsansprüche und hätte so sicher auch von manchem Globalisierungsgegner oder Linksextremisten formuliert werden können. Aber von denen hörte sicher keiner zu, da sie selbst damit beschäftigt waren, den Redner mit wenig geistreichen Gegenparolen zu übertönen. Als dieser nun mit tiefbraunen Phrasen der "jüdisch-zionistischen Weltverschwörung" sein bisheriges Niveau noch unterbot, entblödete sich von den Gegendemonstranten einer nicht, den Spruch "Solidarität mit Israel!" gegenzuhalten. Angesichts des zu dieser Zeit gerade erfolgten massiven Einmarschs in die Palästinensergebiete und der bis heute rigiden, ignoranten Politik dieses Staates, naja...

Wir konnten wirklich nur lauthals lachen, als der Redner dann sein frierendes Häufchen herumlungernder Nazis als stolze Herrenmenschen und Zukunft Deutschlands bezeichnete. Realsatire pur! Ich wünschte, es hätten alle gelacht, das wäre sicher effektiver gewesen als angestaubte Parolen aus der Mottenkiste zu holen und seine Feindbilder "Bullen" und "Glatzen" zu pflegen.

Es gäbe noch mehr kurioses zum weiteren Verlauf zu sagen, aber ich möchte das nicht so in die Länge ziehen. Ich empfand die ganze Szenerie jedenfalls als Ritual festgefahrener Köpfe auf beiden Seiten. Und als pressewirksame Bühne für imagebedachte Selbstdarsteller: Es waren ja haufenweise Fernseh- und Zeitungskameras anwesend. Zum Beispiel ging der Erfurter Gewerkschaftsboss für Banken und Versicherungen demonstrativ angriffslustig auf das rechte Häuflein los und lies sich dann genüsslich und mit einem schiefen Grinsen von der bösen Polizei zurückdrängen, wohl wissend, dass dies am nächsten Tag mit Foto in der Lokalpresse erscheinen würde. Oder der kleine Punk, der mal wieder alle Vorurteile erfüllte, die in vielen Köpfen einen "linken Chaoten" auszeichnen. Der provozierte die Bullen derart, dass die gar nicht anders konnten als ihn abzudrängen. Obwohl der sich einfach nur saublöd aufführte, wurde er von seinen Kumpels für den Mut gefeiert, sich mit der Staatsmacht anzulegen.

Ich fände es gut, wenn rechte Parolen nicht mehr mit linken Parolen beantwortet werden würden. In meinen Augen ist sowas kein Widerstand, sondern nur geistlos und verstaubt. Wie wäre es, wenn die Gegendemonstranten mal zeigen würden, dass sie sich ihre Lebensfreude nicht durch so ein paar armselige Kahlköpfe nehmen lassen? Wie schon gesagt, der "Aufmarsch" war pure Realsatire und hätte es eigentlich verdient, schlicht ausgelacht zu werden. Ich denke, es hätte die Faschos sehr verunsichert, sich der Lächerlichkeit preisgegeben zu sehen. Statt einer Gegendemo, in der auch Gewaltbereitschaft eindeutig zu erkennen war, sollte zukünftig lieber eine Straßenparty mit toller Musik stattfinden, bei der man sich austobt und warm tanzt. Die Glatzen können ja weiter frieren, wenn sie unbedingt wollen. Ärgern würden sie sich bestimmt, wenn das pralle Leben direkt vor ihren Augen abgeht und sie auf eine verkalkte Rede hören müssen.

Das waren ungefähr die Gedanken, die mir und auch meinen Begleiterinnen beim Betrachten des Geschehens aufkamen. Witzigerweise und rein zufällig wurde ein ähnliches Konzept dann ein paar Tage später unter dem Motto "Leipzig lacht über den braunen Karneval" umgesetzt. Da wurde die geplante Marschroute der Nazis mit Konfetti bestreut und die Glatzen am Bahnhof mit Lachsäcken empfangen. Das Konzept ging auf, denn der Aufmarsch fand schließlich nicht statt. Eine ähnliche Aktion wurde kürzlich vor einem Nazi-Aufmarsch durch die evangelische Kirchgemeinde in Saalfeld durchgeführt. Hier versammelte man sich einen Tag vor der Demo auf dem geplanten Stellplatz und bemalte den Boden mit bunten Friedenssymbolen und Sprüchen zur Völkerverständigung. Den am nächsten Tag eintrudelnden Nazis war das natürlich ganz und gar nicht recht und sie riefen empört bei der Stadtverwaltung an, um eine Reinigung des Platzes zu veranlassen. Die entgegneten jedoch nur, dass es sich dabei um eine genehmigte Aktion der Kirche gehandelt habe und kein Grund für eine Reinigung bestünde. Auch hier konnte die Nazikundgebung aufgrund von kreativer und lebensbejahender Zivilcourage erfolgreich und friedlich gestört werden!

Mein Fazit: Es sollte, nicht nur in der linken Szene, wieder viel mehr gelacht werden, anstatt nur in eingefahrener Schiene seine Umwelt und sich selbst so tierisch ernst zu nehmen! Die Bewahrung – oder Wiederentdeckung! – der Lebensfreude tut gerade in unserer heutigen Zeit Not. Die Band „Neues Glas aus alten Scherben“ drückt es in einem ihrer Lieder genau so aus, wie ich es auch empfinde:

„Wenn die Menschen wieder lachen
Und die Sorgen sind allein
Wenn wir alle auferwachen
Dann wird alles möglich sein

[...]

Doch am Himmel steht der Drache
Und die Angst lässt ihn herein
All die Wege Illusionen
All die Wellen am Schiff der Zeit“



Copyright 12.06.2004 by Hansjörg Scheibe-Keßler



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