Die Horla Kommune

Horla Kommune Sommer 1969 in den Räumen des Floh de Cologne

Aus dem Bärmeier & Nikel Journal "Underground" 1970:

Die Horla Kommune nach dem Rausschmiß aus der Kommune 1 - Fabrik, Stephanstr. 60, Berlin

Horlas in Berlin 1990

Die Kommune 1- die Urkommune aller Kommunen - in Berlin 1967

Die Horla Kommune Köln gehörte zur politischen Kommune-Fraktion, einem äußerst radikalen polit-kulturellen Ansatz der 68er Studentenbewegung. 1969 gab sie 4 Ausgaben einer Kinder-Agitationszeitung heraus, die zur Durchsuchung des Republikanischen Clubs (RC) in Köln führte und Heinrich Böll veranlaßte, sich mit dieser Aktion der Horlas zu solidarisieren.

Die Horlas und die Kölner Kinderzeitung 1969

Die Herausgabe der Kölner Kinderzeitung des APO Sommers 1969, war wohl eine der außergewöhnlichsten Aktionen für bürgerliche Eltern in Köln.

Rückblickend läßt sich sagen, daß ihr Entstehen einer kreativen Logik entsprang und den Bahnen folgte, die sich zwangsläufig entwickeln, wenn sich das bürgerliche Individuum revolutioniert und die eigene verdrängte Geschichte nachzuvollziehen beginnt. Die daraus entstehenden Aktionen ergaben sich organisch und waren nicht aufgesetzt.

Eine weitere Revolutionierung der Lebensverhältnisse wurde in den kommenden Jahrzehnten weitgehend aufgegeben und ihre Theorien wanderten in die Archive. Trotz dieser Revision hat es die Welt nicht viel weiter gebracht, die eher heute geistig ohne Orientierung ist, sich pragmatisch auf der Oberfläche bewegt und meist nur reaktiv das verarbeitet, was unmittelbar zu ihrem Leben gehört.

Andererseits scheint es so zu sein, daß ebenfalls die Epoche der "intellektuellen Ideen", die sich mit der sozialen Welt beschäftigt, Geschichte geworden ist.

Mit dem Verzicht auf einen überzogenen Intellekt entschwand auch die darin nachrückende Armee der Kreativen Organisationsmodelle.

Wie dem auch sei - wenn wir uns in die 6oer Jahre zurück versetzen, betreten wir damit einen kulturell-philosophisch anderen Raum und müssen uns geistig anders orientieren, denn die sechziger Jahre waren die Jahre der Kulturrevolution, zumindest für die, die darin teilnahmen. Statt des Schlachtrufs "Rot Front" erschallte nun bei den Linken die Parole "Kampf dem Patriarchat". Und links waren sie alle, zumindest linksliberal oder linksopportunistisch. Besonders an der Uni.

Um eine Vorstellung von der sexualökonomischen Ausgangssituation zu bekommen sei hier nur erwähnt, daß der Kuppeleiparagraph sowie der Paragraph 175, der die Homosexuellen betraf, gerade erst außer Kraft gesetzt war. Allein diese Tatsache machte die Bildung von Kommunen in Deutschland erst möglich.

Um die Kulturrevolution überhaupt besser für diejenigen verständlich zu machen, die ihren Ursprung und ihre Geschichte kaum kennen, hier einige kurze Vorbemerkungen.

Wilhelm Reich, einer der letzten großen umfassenden Theoretiker dieses Jahrhunderts (1897-1957) bezeichnete den Kern jeglicher wirklichen Kulturrevolution als "Die Sexuelle Revolution."

Dieser Theorie liegt zu Grunde, daß der wirkliche produktive seelische Faktor, den Freud die Libido nannte, in der christlich abendländischen Kultur unterdrückt ist und sich als ein neurotischer- kranker Kulturkomplex umsetzt, in dessen Zentrum das Sammeln ökonomischer Besitztümer steht. Jedoch nur für wenige, die anderen gehen leer aus. Die Sexualität und der damit verbundene psychische Apparat werden dieser Funktion untergeordnet und ermöglichen erst mittels ihrer Deformation diesen Prozess.

Charakterlich sind die Menschen nun von ihrer Natur entfremdet und entwickeln statt sozialer Potenz Neurosen. Sie fühlen sich schwach und schließen sich gerne Führern an, die sie mystisch verehren und die ihnen ein ideologisches wie praktisches Ventil für ihren unterdrückten Sadismus anbieten.

Über alle ideologischen Grenzen hinweg schließen sich die Betroffenen dieser Charakterstuktur zusammen, um der Angst zu entgehen die das aufstrebende Leben in der Konfrontation mit ihnen erzeugt, indem sie das natürliche Leben bewußt oder unbewußt bekämpfen wo immer es sich zeigt oder wo sie Einfluß darauf haben. Zu lange Zeit der Abstinenz erzeugt einen biophysischen Haß auf das biologische Leben, das selber nicht mehr gelebt werden kann, so lehrt es die Orgonbiophysik. Die Attacken gegen den lebendigen Ausdruck beginnen bereits im Babyalter und ziehen sich durch die gesamte Kindheit, Schule, Ausbildung und späteren Beruf. Wer kennt nicht den Spruch "der liebe Gott sieht alles, auch deine bösen Finger unter der Bettdecke."

Wir könnten hier eine lange Auflistung der unbewußt automatisch wirkenden Verhaltensmuster geben, die ein Kind durchlaufen muß bis es den Punkt erreicht hat, indem seine sexuelle und psychische Deformation so sublimiert ist, daß der "bürgerlich-anständige" Charakter geformt ist.

Von der Geburt an, in zu hellen Kreissälen, in Isolation von der Mutter direkt nach der Geburt, durch mangelnde emotionelle Wärme der fehlenden Brust, anale Repression , Einschüchterung in der phallischen Darstellungsfreude sowie Isolierung der aufstrebenden Sexualität, durchläuft der Mensch allein bis zum Schulbeginn ein kulturelles Trauma.

Wir sehen hier schon theoretisch, daß die revolutionäre Kinderbewegung mindestens 2 Theoriepfeiler hatte. Zum einen die ökonomische Kritik von Karl Marx und zum anderen die Entdeckung des Unbewußten durch Siegmund Freund.

Während Marx jedoch den Gesellschaftscharakter der Produktion unterstrich, weigerte sich Freud dasselbe auf dem Gebiet des Unbewußten zu tun. Er glaubte, daß Kultur erst durch Unterdrückung sexueller Wünsche möglich würde. Welch ein Irrtum eines Psychiaters, der die kindliche Sexualität selbst erst entdeckte und dessen Schule sich bereits kurze Zeit später dazu verleiten ließ, sich Hitlerdeutschland anzubiedern.

Reich, Freuds Hauptschüler bezüglich der Libidotheorie, korrigierte Freuds Fehler. Entsprechend stellt er den Grundsatz auf, daß sexuelle Potenz soziale Potenz wäre. 1927 erschien "die Funktion des Orgasmus." Die dialektische Ineinandersetzung dieser beiden Theorien, der sozial- und der psychoökonomischen und ihre Erhebung zur gesellschaftlichen Befreiungstheorie wurde von ihm geschaffen. Das Organisationsschema zur ihrer Durchsetzung war die Sex Pol-Organisation für Sexualität und Politik. Neben individueller Aufarbeitung der Charaktermanipulation war für Reich das freie kulturelle Aufwachsen der Kinder der primäre Aspekt einer Gesellschaftserneuerung, sowie Einrichtung der entsprechenden Institutionen.

A. S. Neill, dessen Konzept über freies Kinderaufwachsen ebenfalls in den 60ger Jahren populär wurde war ein persönlicher Freund Reichs und der Begründer der heute noch bestehenden legendären Summerhillschule.

Summerhill seinerseits war weit entfernt von gesellschaftlichen Revolutionstheorien. In Summerhill hatten Kinder die Möglichkeit psychisch gesund aufzuwachsen, frei von Repression und frei von Schulzwang. Den einzigen Zwang, wenn man das so nennen kann, war das "Meeting" auf den die Kinder selbst ihre Regeln festlegten, die aber auch dann obligatorisch für alle waren. Das war gut für die Summerhillkinder- nutzte aber der übrigen Bevölkerung wenig.

So kann man sagen, daß wir es 1969 auch mit 2 Arten des Kindseins zu tun hatten. Da gab es auf der einen Seite die Kinder, die man vor der kulturellen Schädigung bewahren wollte und auf der anderen Seite, die "großen" Kinder, die ihre Geschichte im Sinne einer neuen gesellschaftlichen Bestimmung aufarbeiten wollten.

Zu der europäisch philosophischen Seite der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts gesellte sich die amerikanische Musik- und Literaturszene hinzu, die die 2. Hälfte wesentlich beeinflussen sollte.

Ihre historischen Wurzeln hatte diese Kulturrevolution in den USA. Dort trafen sich in New York im Dezember 1946 Neal Cassady, Jack Kerouac und Allan Ginsberg. Alle Chronisten sind sich darüber einig, daß es die Beatbewegung ohne Cassady wahrscheinlich nie gegeben hätte. Cassady war unglaublich kompromißlos und Kerouacs Buch "On the road" basierte auf der viertägigen Autofahrt von der Ost- an die Westküste, die Neal mit Jack unternahm. Das gab ihm Stoff für ein ganzes Buch. Es war die Beschreibung dieses neuen Lebensstils, der des Boheme.

Der Begriff "Boheme" knüpfte an das Leben der Schriftsteller an, die nach dem 1. Weltkrieg in Paris lebten. Um die Schriftstellerin Gertrude Stein gruppierten sich Anfang der 2oer Jahre eine Gruppe von meist amerikanischen Schriftstellern wie Ernest Hemingway, die im Pariser Boheme einen neuen Lebensstil suchten. Sie wurden unter dem Namen "the lost generation" bekannt. Stein war sehr von dem Philosophen Henri Bergson angetan, der die Orgonenergie philosophisch vorweg nahm, die er elan vital nannte. Wilhelm Reich wurde in seinen frühen Jahren durch Bergson stark beeinflußt.

Auch hatte die spätere deutsche Bewegung eine ähnliche Ausgangsbasis wie die amerikanische. Die USA Besatzungsmacht hatte die jungen Deutschen kulturell amerikanisiert. Alle hörten damals amerikanisches Radio, AFN.

So entstanden alle diese Bewegungen nach Kriegsende, jedoch in einer Phase der Ruhe und der eher bürgerlichen Langeweile.

Das scheint ein Hinweis darauf zu sei, daß ökonomische Krisensituationen, wie wir sie beispielsweise jetzt, 1997 durchleben keine gute Voraussetzung für eine solche Entwicklung sind.

In Amerika bildete sich Anfang der 50er Jahre allmählich eine Subkultur heraus, deren Informationsträger vor allem neben den Untergrundpoeten wie z.B. William Burroughs und Gary Snyder, Vertreter der Rythm & Bluesmusik und des Rock n Roll waren.

Mildred Brady, der es zu verdanken ist, daß Wilhelm Reich 1957 inhaftiert wurde und im Gefängnis 1957 starb, machte Reich für die Beat-Bewegung in San Francisco verantwortlich und klagte das in einem öffentlichen Artikel an. Der Zen-Poet Snyder forderte Kerouac auf, eine Sutra auf den Orgonakkumulator zu schreiben. Doch tatsächlich kannten sich Kerouac und Reich nicht und gehörten auch nicht einem gemeinsamen Kulturkreis an.

1960 kam der Twist auf und beunruhigte die amerikanische Mittelschicht ebenso, wie der Rock n Roll in den 50ern, was Bürgerkampagnen zur Folge hatte. Die Menschen wurden einfach zu bewegt, was bedeutete, zu sexuell.

Die literarische und musikorientierte Subkultur griff nach Europa über und fand ihren Ausdruck in der europäischen Beatbewegung und Mitte der 60er Jahre gesellten sich die Beatles und die amerikanische Hippieideologie dazu. Timothy Leary propagierte die Einnahme von LSD zur Bewußtseinserweiterung, was eine enorme Vertiefung des Geistes brachte und wer es einmal genommen hatte, für den war die Welt nie wieder so, wie er sie vorher gekannt hatte.

Außerdem hatte es sich herumgesprochen, daß man mit Dope besser durch geldlose Zeiten kam, als mit Geld durch dopelose. Undergroundjournale brachten Fotos von Studenten vor ihrem ersten Joint (ziemlich mickerich und kurzgeschoren) und nachher, nachdem sie sich gut eingeraucht hatten (langhaarig und völlig ausgeflippt). Das Leben wurde wieder lebenswert.

Irgend etwas fing an sich in den europäischen und amerikanischen Metropolen des Kapitalismus zu entfesseln.

Einer der stärksten Exponenten dieser Zeit war neben dem Wunsch nach sexueller Freiheit (die Pille machte es möglich), der Eltern Kind-Konflikt, eine Kulturkomponente, die sich jetzt mehr nach außen drängte und sich gesellschaftlich ausdrückten wollte.

Ich erinnere mich noch gut an meine eigene christliche Internatszeit in der Villa Andreae in Königstein, der spätere Sitz des Baulöwen Jürgen Schneider, in der es uns verboten wurde, die Haare in die Stirn zu kämmen. Es wurde auch nicht gern gesehen, wenn wir die Musik der Beatles hörten. Es wurde behauptet, diese Musik würde das Radio beschädigen. Oberprimaner konnten in dieser Zeit an gewissen Gymnasien ihr Abitur nicht machen, weil sie lange Haare hatten, für Lehrlinge traf ähnliches zu.

Diese repressiven Maßnahmen gegen eine freie Persönlichkeitsentwicklung sollten später der Anlaß zur Kinderzeitung Nr.1 werden, die für einige Tage die Gemüter der Kölner Bürger erregte.

Mitte der 60ger Jahre begannen die Studenten für eine Hochschulreform zu kämpfen. Es verwundert kaum, daß es gerade die Intellektuellen waren, für die eine Hochschulpolitik auch nicht von der ökonomischen Frage zu trennen war . Somit wurde die Fragestellung der Hochschule sehr schnell zur Fragestellung der Politik in der BRD überhaupt.

Im Zuge der sozialdemokratischen Bildungspolitik wurden die Universitäten zum sozialen Sprungbrett der Nachkriegsgeneration. Bei gleichzeitiger Überfüllung der Universitäten blieben die Strukturen unbeweglich und paßten sich der neuen Situation nicht an. Der eigentliche Beginn der Studentenbewegung war das FREE SPEACH MOVEMENT in Berkeley 1964. Von dort aus breitete sich die Studentenbewegung bis nach Europa aus und faßte besonders in Deutschland 1966 und Frankreich 1968 Fuß. In Berkeley gab es bereits 1964 die ersten Demonstrationen von Studenten gegen Eisenbahntransporte von Soldaten, die für Vietnam bestimmt waren.. Der Vater der Studentenbewegung in Berkeley war Herbert Marcuse, der auch später als Theoretiker der Verbindung von Marx und Freud eine große Rolle spielen sollte. Marcuse emigrierte in den 30ger Jahren nach Hitlers Machtantritt in die USA. Er gehörte zum Frankfurter Institut für Sozialforschung, das von Theodor Adorno und Max Horkheimer gegründet, jedoch von den NAZIS verboten wurde und erst 1949 nach Deutschland wieder zurückkehrte. "Die kritische Theorie" war der Versuch, soziologische Ursachen ausfindig zu machen, warum die Barbarei und der Faschismus immer wieder über die Vernunft (Kant) bzw. die Rationalität (Reich) dominierten. Marcuse, der Soziologie und Psychologie politisch verband, prägte den Begriff der "repressiven Entsublimierung", was man einfacher mit "sexueller Revolution " übersetzen könnte.

Es ist in sich eigentlich zwingend, daß eine kritische politische Auseinandersetzung sozialistischen Charakter annimmt, und so war das auch in der BRD der Fall.

Jedoch ist es hier wichtig herauszustellen, daß die linke Studentenbewegung durchaus nicht mit der kommunistischen Bewegung der 3oer Jahre gleichzusetzen war. Sie war etwas völlig anderes und ihr progressiver und treibender Teil gehörte eindeutig zur sexuellen Kulturrevolution.

Gott sei Dank war die Bewegung arrogant genug, darauf mit Recht stolz zu sein. Schon im damaligen SDS entwickelte sich die Spaltung zwischen mechanischem Ökonomismus und der kulturevolutionären Linie.

Ein daraus entstandenes Ergebnis war die Kommunebewegung. Ich glaube es ist sicherlich nicht übertrieben, wenn ich sage, daß die politischen Kommunen der radikalste Teil der Bewegung war. Hier wurde der Mensch gläsernd, eine unvermeidliche Tatsache, wie man ihn auch in der Psychotherapie kennt . Und er wurde gesellschaftlich, öffentlich einsehbar. Er fing an über seine Bedürfnisse zu sprechen und Möglichkeiten ihrer Befriedigung zu erörtern.

Gesellschaftstheoretisch war eine Person von politischen Referenzen nicht zu trennen. Diese Dogma galt obligatorisch. Es gab also keinen unpolitischen Menschen, nur einen bewußten oder einen unbewußten Vertreter dieser Tatsache.

Ein wesentlicher Teil der praktischen Aktivitäten in der Kommune war es die gesellschaftliche Arbeit und das private Leben wieder zu vereinigen bzw. die künstliche Trennung, vor allem psychologisch und gesellschaftlich praktisch aufzuarbeiten und aufzuheben. Die Kritik der kapitalistischen Arbeitsteilung wurde zur Kritik der Teilung von Produktion und Konsumtion im alltäglichen Leben.

Es kam auch nicht von ungefähr, daß sich die Kinderläden aus dieser kritischen Bewegung herauskristallisierten. Man brauchte vernünftige Tagesstätten für Kinder, wenn man neben dem Studium auch noch politisch arbeiten wollte. So schaffte man sich eigene Institutionen- eben die Kinderläden. Ihr theoretischer Vorreiter wurde u.a. die Kommune 2 in Berlin, aber auch andere Kommunen waren involviert wie die Charlotteburger Kommune Wielandstraße, Aus der Revolutionierung des bürgerlichen Individuums entstanden sehr viele praktische Fragen und praktische Revolutionsansätze.

Tatsächlich schien die Kommune die Erfüllung vieler Wünsche zu sein. Wenn sie gut funktionierte, war sie eine Quelle für Inspirationen. Sie hob Isolation auf, sie leistete jegliche Art praktischer Arbeit und schaffte Verbindungen, die in der bürgerlichen Gesellschaftsstruktur tabuisiert waren. Sie war ein permanentes Diskussionsforum und schuf eine offene Basis zur Befriedigung sexueller Bedürfnisse. In Kommunen war es nie langweilig. Eher war immer zu viel los und es gab immer gleichzeitig verschiedene Perspektiven.

Wenn sie schlecht funktionierte wurde sie zur Quelle jeglichen persönlichen wie politischen Psychoterrors. 1969 gab es bereits in West-Berlin 3 Kommunen, die sich Kommunen der K1 Geschädigten nannten.

Die Quelle der Kommunebewegung war der Berliner SDS und nur in Berlin konnte so etwas wie die politische Kulturkommune entstehen. Von Berlin aus verbreiteten sich die Kommunen über ganz Deutschland .

Die ersten 3 Kommunen Kölns bildeten sich 1969. Es waren die Kommunen Brüsslerstraße, die Horlakommune und das Anarcho Syndikat 1 am Eigelstein.

Von diesen erwies sich die Horla-Kommune als diejenige, die am stärksten mit dem politischen Kommunegedanken verbunden war und erlangte darüber hinaus einen überregionalen Bekanntheitsgrad. Zu ihr gehörten auch Mitglieder der 68er K-1 - Vorderhauswohnung sowie Leute von den Amon-Düül.

Die Horlakommune selbst ging aus der Gruppe POL, einer Gruppe von Theaterwissenschaftlern an der Uni Köln hervor, deren einziger Auftritt in der Art Otto Muehls Aktionstheaters bei einem Theaterfestival 1968 in Bermingham die konservativen Briten schockte. POL selber schaffte es aber nie Kommune zu machen, obwohl es ihr Anspruch war, sich als Theaterkommune wie das Living Theater zu konstituieren. War man erst einmal verheiratet und über 25 Jahre alt, hatte man erheblichere Schwierigkeiten, zu einer Lebensform wie der Kommune vorzudringen.

So gründeten ein Musiker und ein Schauspieler von POL die erste Horla-Fraktion, die im wesentlichen aus Schülern bestand und am Anfang eher den Charakter einer Clique hatte. Doch all das änderte sich schnell. Bei den späteren Horlas war der Jüngste 16 Jahre alt, die ältesten 23. Die Horla Kommune erwies sich für ein Jahr als eine der stabilsten politischen Alternativ-Institutionen Kölns.

Daran hatte die Stadt selber ihren Anteil, die die Horlakommune jagte, wo sie nur konnte, so daß die Horlas das Gefühl nicht los wurden, als würde es ein separates Sonderkommando des Politischen Dezernats geben um sie als Speerspitze der Kommunebewegung Kölns zu terrorisieren.

Zunächst einmal waren es erst einmal die verschiedenen Kriminaldezernate, die die Tür zur Christian Schultstr. in Ehrenfeld erbrachen, danach kamen die Feldjäger und so ging es weiter.

Nach dem ersten bösartigen Artikel im Kölner Express ("Alle lagerten auf Matratzen, pornographische Bilder hingen an der Wand, und dann versuchten sie noch auf ihrem Intelligenzquotienten rumzureiten) bekam die Horlakommune keinen Mietvertrag mehr in Köln. Das führte dazu, daß jetzt die fehlende Wohnungsauflage zum begehrtesten Verhaftungsgrund wurde.

So wurde die Horlakommune gegen ihren Willen sehr bald eine Straßenkommune, die sich über einen VW-Bus und die Hilfe der Kölner Studentengenossen, der Mensa und dem Republikanischen Club (RC) den Sommer 69 über in Köln organisierte, bevor Rainer Langhans sie im Winter einlud in die K-1 Fabrik, Stephanstr. 60 nach Berlin-Moabit zu kommen.

Neben vielen Aktionen, die die Horlas in Köln durchführten, wie beispielsweise die Besetzung der Schildergasse mit Wohnungsmöbeln (siehe Express Sommer`69 ) wurden die Horlas besonders durch einen Konkret -Artikel von dem Kölner Publizisten Jens Hagen bekannt, der mal wieder durch sein Auftauchen eine Verhaftung verhindern konnte, während die Horlas in der alten Mensa ihre gesamten Bücher verkauften, die nicht wenige waren.

In der Vorhalle der Mensa stand ein Schild, auf dem konnte man lesen: Die Staatsgewalt in ihrer Brutalität hat uns erkennen lassen, daß Eigentum Ballast ist. Wir enteignen uns - helft uns, uns zu enteignen.

Es war nur der Hilfe der Genossen und besonders einiger linker Journalisten zu verdanken, daß die Horlakommune eine lokale Öffentlichkeit erhielt und damit einer Zerschlagung entging.

Es war nicht selten, daß die Polizei zugriff, wenn sich zwei Personen vereinzelten, was sie in der Gruppe nicht wagten.

So wurden die Horlas zu einer Gruppenerscheinung auf den Kölner Straßen, die bald einer Gang ähnelte. Mal im Minikleid nach dem Zappa -Cover " We are only do it in it for the money-" mal einfach nur in Bettüchern, eingewickelt "damit die Genitalien mehr Luft bekamen." So oder so, selbst für den öffentlichen Verkehr auf den Kölner Straßen waren sie eine Gefährdung.

An dieser Stelle soll angemerkt werden, daß der damalige Haupttheoretiker der Horlas ein ehemaliger Psychologiestudent war. Er behauptete jedoch, sich sein ganzes Wissen nicht an der Universität sondern am Kinderspielplatz gelernt zu haben.

Im Zuge der eigenen Auseinandersetzung in der Gruppe drängten sich die infantilen Erlebnisse immer mehr in den Vordergrund. Wie drängend dieser Faktor auch für andere war, zeigte sich in der späteren Psychobewegung, die sich ab 1975 an die politische anschloß.

Da waren z.B. die Gefühlskälte der Erwachsenen, die manches Kind durchleben mußte oder auch die Unterdrückung der spielerischen Beschäftigung, Unterdrückung in der Schule, Zwang zur Verfrühten Berufsorientierung etc., um hier einige relativ harmlose Frustrationen zu beschreiben. Was natürlich besonders unterdrückt wurde war die Sexualität. Um so tiefer man kam, und dies wurde immer durch aktuelle Konfrontationen ausgelöst, stellten sich auch inzestiöse Phantasien ein.

So sagte einmal jemand der Gruppe, als wir uns in einem roten U-Bahntunnel befanden, er fühle sich, wie in einer Möse, die ihn einsaugen und nicht mehr loslassen würde.

Die Erkenntnisse der Psychoanalyse und der Sexualökonomie Reichs waren sehr bestimmend für die kulturpolitische Perspektive der Kommune Horla. Sie waren sozusagen die Legitimation sich wieder und wieder mit den kindlichen Wünschen und Verdrängungen zu beschäftigen. Obwohl die Horlas sich eher theoriefeindlich gaben schöpften sie doch ausgiebig von den Theoretikern und verbanden das mit ihrer direkten radikalen Weise verändern zu wollen.

Aktueller Anlaß die Kinderzeitung Nr.1 herauszugeben, war die Tatsache,daß die Horlas wegen ihrer langen Haare von Kindern auf der Straße beschimpft wurden. Das schmerzte, wo sich doch gerade die Horlas als die Avantgarde der Kinder verstanden. Sie fühlten sich hier unverstanden und reagierten in ihrer typischen Form, einer Mischung aus Selbstaufarbeitung und intellektueller Agitation.

Die kulturelle Kastration der bürgerlichen Gesellschaft ist ja in Wahrheit eine sexuelle , und daher auch eine Beschneidung der Würde und der Freiheit. Die Beschneidung der Persönlichkeit drückte sich damals vor allem in der Beschneidung der Haartracht aus, die einen angepaßten Bürger von einem befreiten Freakbrother unterschied, der, wie es David Crosby einmal in einem Song ausdrückte, seine "free flag" wehen ließ.

Haare waren also ein Symbol für Freiheit. So wurde dieses unangenehme Erlebnis mit den Kindern "der anderen Seite " als die Kinderzeitung Nr.1 konzipiert und am selben Abend noch im Republikanischen Club gedruckt.

Das Konzept war recht einfach: ein DIN A4 Blatt und vier Bilder mit Kommentaren.

Bild 1 zeigt einen deprimierten Jungen der von seinem ziemlich haarlosen Vater beschimpft wird. Der Vater rügt, daß die Noten in der Schule immer schlechter werden und das er dem Jungen jetzt die Haare schneiden würde, als Auftakt seine Gammelei zu beenden.

Bild 2 zeigt den Jungen, während der sich gedanklich entschließt, sich diesmal zur Wehr zu setzen. Die Repressionsmaßnahme ist zu einschneidend, um akzeptabel zu sein. Hier wird das Konzept kund getan: Kinder können und sollen sich endlich wehren.

Bild 3 zeigt die Umsetzung dieses Entschlusses, eine Wolke, aus der nur noch Beine und Arme des kämpfenden Sohns mit dem Vater hervorragen.

Natürlich gewinnt der Sohn und der Vater muß in der Unterwerfungsszene verharren. Die Schere richtet sich nun gegen den Unterdrücker, jedoch nicht in sublimierter Form, sondern in realer.

In Bild 4 setzt der Sohn die Schere am Genital des Vaters an.

Die Unterschrift lautet: "Wer die Haare nicht ehrt, ist des Pimmels nicht wert."

Es war gerade das Bild 4 mit seinem Kommentar, das die Gemüter der Kölner Bürger erhitzte- die Öffentlichmachung sexueller Kastration.

Zugleich war es die Art, wie die Horlas sich Agitation vorstellten und es war hier nicht das Proletariat, das sich gegen seinen Unterdrücker aufgebahr, es war das vergewaltigte Kind, selbst, das jetzt dieselbe Gewalt gegen den Unterdrücker richtete, um sich zu befreien.

Die wirkliche Revolution war also die Verteidigung ursprünglicher biologischer Werte und deren kultureller Ausdruck. Theoretisch war dieser Ansatz sehr tiefgreifend, denn er sieht nicht die Unterdrückung erst in der materiellen Produktion, sondern bereits vorher in der Verbiegung grundlegender biologischer Voraussetzungen.

Das ist ein Vorwurf, der auch Wilhelm Reich immer wieder aus dem kommunistischen Lager gemacht wurde, das über keinen psychologischen Produktionsbegriff verfügte und deshalb historisch auch unterging.

Es ist hier leicht zu ahnen daß Kinder wohl sehr hilflos vor einer solchen Agitation wie der Kinderzeitung gestanden haben, in der die Erwachsenen ihre Kindheit aufarbeiten. Dafür verstanden die Erwachsenen um so besser. Sie gingen zur Polizei und erstatteten Anzeige. Niemand weiß, wer auf die Idee kam, den RC nach Matrizen zu durchsuchen. Vielleicht hatte die Linke Szene in Köln ebenso ihre Spitzel wie die Berliner. Dort hatte sich ein Undercover- Verfassungsschützer als Sympathisant bei den Linken eingeschleust und er war es, der dafür sorgte, daß Molotow -cocktails bei der Demonstration vor dem Springerhochhaus flogen. Die übliche Strategie der Kriminalisierung progressiver Inhalte. Unerkannt seiner wahren Identität ging er auch bei der Kommune 1 in Berlin ein und aus.

Jedenfalls wurde in Köln der RC tagsüber aufgebrochen und die ganze Aktion konnte man tagsdarauf im Kölner Express brühwarm lesen. Die Kinderzeitung wurde populär. Heinrich Böll sah sich veranlaßt die Kinderzeitung zu verteidigen und die Horlas konzipierten kurze Zeit später im RC ihre Kinderzeitung Nr.2. Diesmal ging man noch direkter an den Kern.

Die Nr.2, die wiederum nur aus einer Seite bestand, zeigte die elterliche Schlafzimmertür. Vor der stand das Mädchen Inge (?): und der daneben stehende Text informierte:

Es ist jetzt 23 Uhr. Seit 2 Stunden müßte Inge schlafen. Trotzdem steht sie vor der Schlafzimmertür ihrer Eltern."

und weiter" Jeden Abend sitzen Inges Eltern vor dem Fernsehapparat. Mutter strickt und wenn Vater (?) seine 3. Flasche Bier ausgesoffen hat muß Inge ins Bett. Oft ist sie müde und schläft sofort ein. Doch manchmal kann sie nicht einschlafen. Dann hört sie wie der Vater und Mutter die Treppe hochgeschlichen kommen, um sich im Schlafzimmer einschließen. Zuerst ist es ganz still, doch kurze Zeit später knarren die Betten und oft glaubt sie auch stöhnen und unterdrückte Hilferufe gehört zu haben, so daß einem Angst und Bange werden könnte - diese Nacht hat sie beschlossen, daß Geheimnis hinter der Schlafzimmertür zu lüften. Und IHR?

Hier wurden die Kinder aufgefordert die Eltern über Sexualität zu befragen.

Die Kinderzeitung Nr.3 hatte noch mehr Text- Sie entwarf eine Perspektive, wie schön das Leben sein könnte wenn man sich selbst organisiert und wie man die Eltern diesbezüglich materiell enteignen würde, was in diesem Fall bedeutete, sie zu beklauen.

Auch hier gab es unter der Überschrift, "Die Polizei lügt" das "von Eltern und Erziehern gefürchtete Bildchen. "Es zeigt ein Jungenpenis mit Gedankenblase, der wünscht in das Genital eines Mädchens eindringen zu können."

Das Resümee: Jedes Kind hat eine Möse oder einen Pimmel- in unserem Höschen ist was Schönes.

Die Kinderzeitung Nr.3 wurde durch das Bild von "Eva, die von ihren Eltern verraten wurde." geziert. Eva wurde, weil sie ihrer Schwester gestattete mit ihr zu gehen, als sie das Elternhaus verließ, zu 3 Jahren Jugendgefängniss auf besonderen Wunsch ihrer Eltern, verurteilt. Ihre Geschichte wurde im Sommer 1969 in dem Schülermagazin "Underground", einem Ableger von Pardon, herausgebracht .

Die Kinder wurden in der Kinderzeitung aufgefordert ihr zu schreiben . Ebenso an Karl Pawla, der auch gegen die Autoritäten gekämpft hatte, indem er vor einer Gerichtsverhandlung Abführmittel nahm, und der nach dem er sein Geschäft im Gerichtssaal verrichtet hatte, den Richtertisch stürmte um sich mit den Gerichtsakten den Hintern abzuwischen. So etwas machte man in der damaligen Zeit. Die Justiz hatte für solche Demonstrationen jedoch kein Verständnis und verdonnerte Karl zu einer mehrjährigen Haftstrafe.

Die Kinderzeitung kommentierte: Auch er hat für uns gekämpft.

Die Kinderzeitung wurde zur Mittagszeit am Kölner Rudolfplatz, einem zentralen Schülerverkehrsknotenpunkt verteilt. Während die Kinder nur mäßiges Interesse hatten, standen die Erwachsenen, die sich sonst nie für Flugblätter interessierten an den Ecken, um den Kinder die Zeitung aus der Hand zu reißen. Denn wenn ein Erwachsener die Zeitung haben wollte, sagten die Verteiler: Nein, die ist nur für Kinder. Kaum hatten die Erwachsenen gelesen, kamen Aufschreie und Rufe nach den Ordnungshütern. Die Horlas ergriffen dann mit ihren vollen Plastiktüten die Flucht.

Im Herbst 69 wurde der VW-Bus der Horlas mit allen Kinderzeitungen beschlagnahmt und wegen technischer Mängel festgehalten.- Sie bekamen ihn nie wieder zurück.

Die letzte Kinderzeitung die Anfang 1970 erschien hatte einen ganz anderen Charakter. Die Horlas hatten mittlerweile etliche Katastrophen hinter sich.

In der kubanischen Botschaft in Paris hatte sie der Botschafter, kurzgeschoren und mit Schlips und Anzug, empfangen, war aber nicht bereit die nötige Hilfestellung zu geben , die die Horlas damals so dringend brauchten. Man riet gerade ihnen sich die Haare zu schneiden und anständig aufzutreten. Hier zerbrach die Che Guevara -Romantik sowie die Träume von einer kubanischen Solidarität . In Avignon, wo die freien Theatergruppen noch 1968 ihre Festivals feierten, fing 1969 die Polizei Langhaarige ein und schnitt ihnen die Haare ab. Weitere freie Festivals in Avignon wollte man nicht haben.

Peter Brückner, renommierter Psychologieprofessor aus Hannover verstand das Politkonzept der Horlas sehr gut, lud sie zu sich ein und bot ihnen an, mit ihnen zusammen ein Buch über Kommuneinitiativen zu schreiben. Er spendete einige tausend Mark, damit sie, die wegen Bagatellen im Fahndungsbuch standen und somit legal keine Grenze mehr überschreiten konnten, zumindest nach Berlin einfliegen konnten.

Die Idee einer Klage gegen die Stadt Köln wegen Diskriminierung und Beihilfe zur Diskriminierung mit tausenden von Anklägern der linken Szene anzustrengen, brachte den Horlas neben vielen abschlägigen Bescheiden linker Staranwälte eine Einladung von Rainer Langhans von der Kommune 1 nach Berlin ein.

Er versuchte den Horlas die Berliner Kommune-Szene schmackhaft zu machen. Er selbst versuchte dort gerade die Idee eines "Pop-Konzern " wie es genannt wurde, zu verwirklichen, indem die Linken zu Stars werden sollten- eine neue Revolutionsstrategie- die Geld und Publizität bringen sollte. Jedoch für die damalige Zeit ein unmögliches Unternehmen, jedenfalls in der Linken Szene. Rainer hatte 1967 auf den Essener Songtagen Uschi Obermaier kennengelernt, die damals zur Amon Düül-Truppe gehörte, die dort spielte. Seit ihrem Einzug in die K1 war die nicht mehr das , was sie früher mal war. Auch Fritz Teufel, der mittlerweile in der Münchener Wacker-Einstein -Kommune lebte, zerrte von seinem Star-Image und zeigte sich gerne distinguiert mit Zigarre.

Tatsächlich war es der Beginn von der Revolution zum Jet-Set, eine übliche Karriere, die jedoch nicht alle schafften. Es war klar, daß die Horlas, die eher revolutionäre Puristen waren in ein solches Bild nicht reinpaßten und so ließ Langhans einige tendenziöse Bemerkungen bei einer Rockergruppe, der "Brücke" fallen, die dann schnell Rainer zur Hilfe eilten wollten.

Doch Rainer wurde die Geister die er gerufen hatte nicht mehr los. Anscheinend hatte er wenig Erfahrung mit solchen Gruppen, die anfingen die K1 Fabrik zu ihrem Spielplatz zu machen. In einer Nacht, bei der auch die Amon Düül 2 da waren, knallte es in der K1. "Die Brücke-Rocker ließen sich nämlich nicht wie die Horlas von Uschi Obermaier als Lumpenproletariat titulieren. Außerdem begriffen die sehr schnell was in der K1 Fabrik vor sich ging, wer die Reichen und wer die Armen waren und was das ganze Gesülze von der Klassenlosigkeit in Wirklichkeit bedeutete. Am nächsten Tag war der 2. Stock leer- die K1 gab es nicht mehr.

Doch die Rocker rückten nicht ab, sondern kamen immer wieder um die Zurückgebliebenen (das waren die Horlas) regelmäßig zu verprügeln. Wer keine feste Freundin nachweisen konnte mußte sich in der Küche aufstellen und wurde anschließend zusammengeschlagen, es sei denn die Rocker waren zu betrunken und fielen bei ihren Rückwärtsschlägen selber hin.

In dieser Phase entstand das Tonbandinterview von Rolf Ulrich Kaiser, daß später unter dem Titel "Fabrikbewohner" im Düsseldorfer Droste Verlag veröffentlicht wurde und auch als Radiosendung im Sommer 1970 vom WDR übertragen wurde.

Die Horlas traten im eisigen Winter 1969, der ein Überleben dort nicht möglich machte die Flucht aus Berlin an. Zwei der Horlas kamen im Winter 69 zurück nach Köln, die anderen waren inhaftiert oder lebten im Untergrund. Der Winter war durch Armut und fehlende Perspektive gekennzeichnet.

Ab diesem Winter gab es ein neues revolutionäres Element im Bewußtsein der Horlas. Es war das LSD. Obwohl die Horlas mit Drogen und eben auch mit LSD gut vertraut waren, spielte es bisher für eine revolutionäre Strategie keine bevorzugte Rolle.

Das Veränderte sich im Winter 69 jedoch. Der mühsame Gang durch die intellektuelle Institution des Bewußtseins konnte mittels LSD umgangen werden. Unter LSD bekam die Realität einen direkten Ausdruck jenseits aller Abwehrfilter- es war die Wahrheit pur. Die Horlas entwarfen das Konzept LSD in Umlauf zu bringen. Die Bewußseinserweiterung sollte ein weiteres Mittel zum kulturellen Umsturz sein. Doch dieses Konzept wurde nie wirklich in die Tat umgesetzt und die Horlas waren auch überhaupt nicht in der Lage dazu. Andererseits paßte es auch nicht zu ihrem Stil, da sie Spotaniisten waren und keine Psychedeliker. So stieg im wesentlichen nur der Selbstkonsum an und das nicht zu knapp.

Trotzdem schlug sich diese Theorie in der letzten Ausgabe der Kinderzeitung nieder und war ihr eigentlicher einziger Inhalt.

Sie enthielt noch mehr Text als die Nr. 3 und hatte aber viele Seiten, nur mit Zeichnungen, die wahrscheinlich durch LSD inspiriert waren. Sie war erheblich unagressiver, ja fast schon versöhnlich und demonstrierte die Macht der Phantasie über die Naturgewalt. So war sie ein modernes Märchen, daß jeder so interpretieren konnte, wie er wollte und stand in strengem Kontrast zur Aggressivität der Kinderzeitungen 1 bis 3.

Motto der Nr. 4 war der Spruch:

" Es gibt nur eine Sünde: Wer Kinder zum weinen bringt." (das war zwar schlechtes deutsch, dafür aber inhaltlich moralisch ) und " wir Kinder sind stark " - ein typischer Spruch der eher die Schwäche der Horlas kennzeichnete, denn wer bereits weinte, das waren die Horlas selbst, die damals ziemlich am Ende waren, so wie auch die Bewegung der Kulturrevolution.

Held der Kinderzeitung Nr.4 war der Junge Fritz (?) -. Fritz der alleine ist und sich langweilt, geht am Rhein spazieren. Verdrossen wirft er Steine in den Rhein, bis er auf einmal eine Gestalt hinter sich wahrnimmt. Die Gestalt ist alt, hat lange weiße Haare, den obligatorischen Zauberstock und ein wehendes blaues Gewand. Fritz versteht sofort, daß er es mit einem Zauberer zu tun hat. Der Zauberer holt einen Beutel hervor in dem sich farbige Bonbons befinden (vielleicht Purple Haze). Er fordert Fritz auf, ein Bonbon zu nehmen und sagt ihm "Wenn du das Bonbon ißt, kannst du dir wünschen, ob du ganz klein oder ganz groß sein willst." Fritz entschließt sich groß werden zu wollen, er bekommt eine riesige Gestalt und steigt in den Rhein. Aus Versehen beschädigt er eine Brücke, aber mit Tesa läßt sich alles reparieren. Er übersteht verschiedene kleinere Konflikte mit Erwachsenen, die er aber souverän lösen kann und die die Erwachsenen in ihre Schranken weist. Am Abend verwandelt er sich wider in seine normale Größe und der Text endet mit: "und keiner wußte, daß er der Riese gewesen war."

Das Frontblatt zeigte Fritz mit erigiertem Penis als Zeichen seiner Potenz.

Eine weitere Edition der Kinderzeitung als Gesamtausgabe, die 1970 erfolgen sollte, kam nicht mehr zustande.

Die letzte Kinderzeitung wurde nicht mehr im RC sondern in der Kunstruine Universitäts-Ecke Luxemburgerstr. gedruckt, die inzwischen abgerissen ist. Auch hier versuchte sich eine späte Gruppe noch 1970 in Aktionstheater als Agitation.

Die Kinderzeitung Nr. 4 war nicht nur der Tagebuchbericht der Horlas selbst, er spiegelte auch das Ende der Apo-Bewegung wieder. Die Kulturevolution in Deutschland stand in ihrem Herbst. Von den politkulturellen Inhalten redete fast niemand mehr. Im Sommer 1969 hatte sich bereits der Zentralverband des SDS aufgelöst und die Parole "Liquidiert die Antiautoritäre Phase" wurde überall propagiert. Die Kommunen hatten sich vielerseits aufgelöst oder waren unpolitisch geworden. Zudem machte sich eine weitere Polarisierung bemerkbar. Der sensiblere Teil versank zunehmend in der Drogen-Subkultur. Ein Exponent dieser Richtung war die Szene die man in Jugenheim b. Darmstadt traf und jeder der die kannte, weiß was ich meine.

Der andere Teil erstarrte politisch. Trotzdem bildete sich ein relativ lebendiger Teil heraus- die Spontaniisten, die in die Fabriken gingen um Agitation zu betreiben. Ihnen standen später die Parteiaufbauorganisationen- die sogenannten K-Gruppen gegenüber. Während die Sponties später einen Teil der Grünen stellten, wie Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit, gingen die K-Gruppen alle unter. Die Horlas selber hatten politisch ausgedient und es selber nicht geschafft sich eine ökonomische Basis zu geben, auf der man hätte leben können. Jegliche Angepaßtheit galt bei den Horlas als Verrat an der Revolution und man war konsequent bemüht sich nicht in das Fahrwasser der Anpassung gleiten zu lassen.

1971 jedoch wurden 2 ehemalige Horlas Mitglieder der Kölner SDS-Mehrheitsfraktion, der Organisation, die sie früher als sexualfrustrierten Kleinbürger-Zirkel belächelten. Auch spätere Versuche Sex-Pol Inhalte in die damals betriebliche politische Arbeit miteinzubringen scheiterten kläglich. Das änderte sich auch nicht im Arbeiterkampf (AK), wie sich der Kölner SDS ab 1971 nannte, der jetzt zu dem Verbund der Spontigruppen gehörte, die die überregionale Zeitung "Wir wollen alles" herausgab.

Damals zeigte sich, daß es nicht "die" Arbeiterklasse gab, sondern es gab ältere und jüngere Arbeiter, die unterschiedliche Perspektiven hatten. Der sexualökonomische Kulturkonflikt zog sich durch die Betriebe wie durch die Familien. Ich bedauerte es damals nicht bei den "Ton Steine Scherben" geblieben zu sein, die ich 74 in Berlin besuchte und die eher den jungen Revolutionsstil verkörperten und prädestiniert waren, gute Agitatoren zu sein. In ihren Texten fanden sich sexualökonomische Inhalte Reichs und Reichs Bücher standen auch in ihren Regalen, jedenfalls während ihrer Kreuzberger Zeit.

An den Kölner Hochschulgenossen war die Sexuelle Revolution allein schon theoretisch vorbeigegangen und sie entwickelten ebenfalls keinen sexualökonomischen Produktionsbegriff.

Nach 3 Jahren entfremdeter politischer Arbeit als Sponti ging ich zurück in einen Kölner Kinderladen und machte dort mein Vorpraktikum zum Kindergärtner. Aber auch hier stellte ich fest, daß das Wissen der frühen Kinderläden nicht mehr existent war. Die Kinderladenbewegung endete 1976. Viele Kinderläden schlossen damals endgültig, weil die Eltern nicht mehr bereit waren viel Geld für ihre Kinder zur Verfügung zu stellen. Man gab sie lieber in konventionelle Kindergärten.

Doch heute 1997 versucht man auch dort die pädagogische Betreuung zu kürzen, wie es im September in den Nachrichten verkündet wurde. Zwei Betreuungspersonen für eine Kindergruppe werden bald der Vergangenheit angehören.

Reste der Kinderzeitung war ein Bestandteil meiner häufigen Umzüge, bevor ich sie endgültig 1976 verlor. Als ich sie mir 1976 zum letzten Mal anschaute, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: die Kinderzeitung war hauptsächlich das psychische Profil ihres Initiators. Doch das tut der Kinderzeitung keinen Abbruch, da die Inhalte Spiegelbilder der Kultur waren, die ein Kind über sich ergehen lassen mußte.

Trotzdem war es für mich verblüffend, die Autensität der Inhalte mit der Person ihrer Initiative in der Kinderzeitung widergespiegelt zu sehen.

Das entspricht dem Bereich der Kunst, indem große Schriftsteller oder Musiker ebenfalls aus ihren persönlichen Erlebnissen schöpfen. Wahrscheinlich ist es auch eine der Arten, wie lebendige Revolutionen sich vollziehen.

Ohne das Wissen von Freud und Reich und dem gesellschaftlichen Produktionsbegriff von Engels und Marx wäre es jedoch nicht möglich gewesen eine Kinderzeitung dieser Art zu kreieren. Nach dem Motto: "Aus den Massen schöpfen, in die Massen tragen " fehlte bei der Kinderzeitung natürlich das untersuchende Element (UAO).

Was konnten Kinder nun tatsächlich mit einer solchen Agitation anfangen - oder, war es für Jugendliche überhaupt ein Antrieb zu ihrer Emanzipation? All diese Fragen wurden nicht untersucht. Jedoch ist das eher unwahrscheinlich.

Die Horlas in Köln, gejagt und nach 6 Monaten völlig psychotisch, wurden nach anfänglicher Faszination eine Last für die Kölner Liberalen, was ich ihnen heute nicht verdenken kann. Trotzdem sei allen Dank gesagt, die die Horlas in dieser extrem schwierigen Situation unterstützen und die diese völlig durchgedrehten Opfer ihrer eigenen Unternehmungen ertrugen. Es war nicht umsonst.

Im Nachhinein glaube ich heute nicht mehr, daß die Kinderzeitung für Kinder geeignet war, sicherlich war sie es aber für die Aufarbeitung der Erwachsenen.

Kinder müssen ihre eigenen Zeitungen machen und die Erwachsenen können ihnen höchsten technisch dabei helfen, wobei auch dieser Punkt eher für Schüler und Heranwachsende zutrifft. Kinder haben ihr eigenes Informationsystem und das ist wohl kaum eine Zeitung. Auch inhaltlich war die vorgegebene Konfrontation mit Sicherheit zu hart und nur für Kinder geeignet, die bereits offensiv in dieser Problematik steckten. Das war wahrscheinlich bei den wenigsten der Fall. Jedoch für eine Annäherung an Verdrängung des Sexuellen war die Kinderzeitung herrlich frisch . Geschadet hat die Kinderzeitung mit Sicherheit niemandem! Nur die Erwachsenen wurden etwas unangenehm berührt.

Einer der Autoren der Kinderzeitung erlitt Ende 1970 einen schweren Zusammenbruch, nachdem er nie wieder der alte war. Er heiratete seine Freundin aus der Kommune und sie bekamen ihre ersehnten 4 Kinder. Er wurde Lehrer und ich beneide jedes Kind, das die Möglichkeit hatte in seiner Klasse zu sein. Ein weiteres Mitglied ging zum Kölner SSK und arbeitete dort jahrelang. 2 weitere Mitglieder wurden Verleger und brachten sozialkritische Literatur heraus, ein Mädchen soll zu einer anderen radikalen Gruppierung gegangen sein und ich hörte nie wieder etwas von ihr. Auch viele andere verlor ich aus den Augen und sah sie leider nie wieder. Das Horla Konzept lebte 1976 in Berlin wieder auf und die Gruppe existierte bis 1993.

Der Autor dieses Artikels folgte dem Lehrgebäude Wilhelm Reichs und führte den Orgonakkumulator 1974 in Deutschland ein.

Nachträglich ist es bedauernswert, daß man so an den Forschungsansätzen Wilhelm Reichs, ohne den es die Kommunen sexualökonomischer und politischer Art nie gegeben hätte, vorbeigegangen ist. Obwohl Reich eigentlich zum ökologischen Lager gerechnet werden müßte, wurden seine Theorien nie aufgegriffen. Wilhelm Reich beschrieb bereits in den 50er Jahren das Waldsterben in Regionen, in denen es keine Industrialisierung gab und identifizierte die Zerstörung der Orgonenergie (DOR ) als eine energetische Ausgangsstrahlung die zu Ozon und Säure führt. Er wies nach, daß Krebs durch energetische Abstinenz begründet ist und nannte ihn Sexualhungerseuche.

Der Mensch als Verursacher weiterer Schäden wurde von Reich in seiner libidinösen Kulturentwicklung beschrieben, die zu Frustration und Irrationalität führt.

Warum wurden seine Forschungsergebnisse nicht aufgegriffen und Einrichtungen geschaffen, durch die der Mensch diesem Schicksal entgehen kann? Warum gibt es heute keine einzige Partei, die dieses unideologische Naturwissen aufgreift und in ihr Programm integriert?

Viele Fragen, auf die niemand antworten wird.

Die Kultur, die die Kinderzeitung hervorbrachte ist zwar längst vergangen,

aber

wenn die Kinderzeitung als ein historisches Relikt das Augenmerk auf die Frustration , die sich in den Erwachsenen verankert hat, wieder weckt, sowie an die natürlichen Genitalrechte der Kinder erinnert, hat die Geschichte der Kinderzeitung auch noch nach 28 Jahren in Form dieses Artikels eine Funktion.

John Trettin, 1. Oktober 1997

Die K-1 Fabrik in der Stefanstraße in Moabit nach 30 Jahren im Sommer1998. Äußerlich hat sich nicht viel verändert. Das "Vorderhaus" in der die Anmeldewohnung der K1 war (links) ist abgerissen (Bild 1). Die untere Etage, Werkstatt, schwarzer Raum und Eingangstür bekamen einen weißen Außenfassadenanstrich. Die Duschen im Treppenhaus wurden nie fertig und der abrißreife Balkon der K1 im 2. Stock existiert auch noch (Bild 2).

Alle 1o Jahre schaue ich mal vorbei, ob dieses Denkmal noch steht und wer es jetzt bewohnt. Rainer war dieses Jahr auch mal wieder da (konnte man auch im Fernsehen der ARD bestaunen) und man erzählte mir, daß öfters alte Besucher kämen. 1988 besuchte ich die Fabrik mit 2 Horlas, die auch 68 in der Anmeldewohnung zusammen mit John von den Düüls und anderen wohnten. Wir hatten damals die Möglichkeit dort einige Filmaufnahmen zu machen. Einige Zeit hatte auch die Rote Hilfe hier ihr Quartier. 1998 hat die Besetzung wieder gewechselt. Im 2. Stock wohnt jetzt eine Einzelperson und in den Räumen der Linkeck-Kommune 1. Stock eine Vierergruppe. Der nächste Besuch steht für das Jahr 2008 an.

1969 waren bereits viele Kinderläden in den Wedding, dem benachbarten Stadtteil von Moabit gezogen. Andere Sozialprojekte folgten in den 70er und 80er Jahren, obwohl der Stadtteil kulturell im Gegensatz zu Kreuzberg und Schöneberg unattraktiv war, aber er bot die Ruhe und die Räumlichkeiten, die manche Gruppen bevorzugten. 1977 bildeten sich aus den vielen vielen Kommuneversuchen meinerseits und meiner Freunde aus der Kölner-, Münchener - und Berliner Kommunezeit die Gruppe Müllerstrasse, die neben dem alten Rathaus in den 3 Häusern der Nr. 145 12 Wohnungen und einen großen Produktionskeller bezog (Haus links im Bild). Dort versuchten wir unser Leben nach der Ausrichtung der Sexualökonomie zugestalten. Anfang der 30er Jahre hatte auf der gleichen Seite der Straße, nur 2 Häuser weiter Reichs Sex-Pol-Beratungsstelle Nord unter der Leitung von Ernest Bornemann ihren Sitz (Haus rechts im Bild). Die Gruppe Müllerstraße hielt insgesamt 15 Jahre, bis sie dem Trend des gesellschaftlichen Individualismus zum Opfer fiel. Über 10 Jahre produzierten wir dort den Orgonakkumulator, sowie Filme zur wissenschaftlichen Orgonomie. Reste der Gruppe zogen nach Köln und gründeten dort das Orgoninstitut IOO.

Der Autor John Joachim Trettin 1969

zur Biographie


Wilhelm Reich und die Grünen

Orgonomische Soziologie

Wilhelm Reich Cloudbusting Orgontraining

copyright John Joachim Trettin 1997

Wilhelm Reich Orgonforschungsinstitut Deutschland


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